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03.11.2018 So erreicht man keine Integration
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Entmündigung und Zermürbung von Flüchtlingen in Schwelm

Die KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen hat ein Flüchtlingsheim in Schwelm besucht und über die Situation dort berichtet. Der Besuch kam nicht zufällig, denn schon seit Wochen gab es Gerüchte, dass die Menschen dort über ihre Behandlung klagen.

Aktion Freiheit statt Angst möchte als Mitglied im Flüchtlingsrat Berlin den Bericht über diesen Besuch, wie auch vor wenigen Tagen den über eine Horror-Sammelabschiebung von Berlin-Schönefeld nach Madrid in die Öffentlichkeit bringen. Denn mit einer solchen Behandlung von Menschen, die in Not zu uns kommen, werden wir keine Integration in unsere Gesellschaft erreichen.

Entmündigung und Zermürbung von Flüchtlingen in Schwelm

Bericht der ersten Delegation des KARAWANE-Netzwerks aus Wuppertal, 1. November 2018

Über Bekannte hörten wir, dass Flüchtlinge in Schwelm in einem „Flüchtlingsheim“ leiden und ihre Situation nicht mehr ertragen. Also besuchte eine erste Delegation die Freunde, um sich selbst ein Bild vor Ort zu machen.

In einer ehemaligen Schule in Schwelm sind seit Januar 2016 vornehmlich alleinstehende Männer von der Stadt Schwelm. Sie kommen unter anderem aus Afghanistan, Eritrea, Guinea, Iran und Nigeria. Neben den Flüchtlingen dient die mittlerweile zur Gemeinschaftsunterkunft umfunktionierte Schule auch als Übernachtungsstätte für obdachlose Menschen. Anfangs waren etwa 120 Flüchtlinge in dem Heim untergebracht. Mittlerweile leben dort zwischen 30 und 40 Flüchtlinge und fünf Obdachlose.

In das Heim kommt man über den Hintereingang. Dieser ist verschlossen. Klingelt man, öffnet die Security die Tür. Die Security wird von der Firma Matrix gestellt. Sie behält den Personalausweis und man erhält stattdessen einen Besucherausweis. Nicht nur die Besucher müssen klingeln, sondern auch die Bewohner. Kein einziger Bewohner hat einen Hauseingangsschlüssel. Die Gemeinschaftsdusche ist neben dem Gebäude auf dem Hof. Wenn ein Bewohner die Dusche benutzen will, muss er also das Gebäude verlassen, etwa 25 Schritte zur Dusche laufen und wenn er zurück kommt, muss er wieder klingeln, damit er reinkommt. Ist das anwesende Personal gerade auf Toilette oder im Keller oder anderweitig beschäftigt, steht man z.B. im Winter draußen und friert. In den Räumen darf nicht geraucht werden. Geht man zum Rauchen rein, muss man wieder klingeln, dass die Tür aufgemacht wird.

Hier kommt das erste Mal der Verdacht auf, dass die Stadt hier unnötige Jobs beschafft, die absolut verschwenderisch sind. Es sei anzumerken, dass die Securities 24 Stunden, sieben Tage die Woche vor Ort sind. Auf jeder Schicht sind zwei Angestellte. Laut einem Freund, habe die Stadt behauptet, dass die Securities zum Schutz der Flüchtlinge vor Ort seien. Sie sollen die Sicherheit gewährleisten. Letztendlich sind sie aber nicht für das Öffnen der Tür zuständig, sondern überwachen auch die Anwesenheit der Flüchtlinge. Ist ein Flüchtling z.B. zwei Nächte nicht im Heim, weil er Bekannte oder Freunde besucht, werden ihm die Sozialleistungen gekürzt.

Die ehemaligen Schulklassen sind mit Trennwänden in kleine etwa 9 Quadratmeter kleine Bereiche aufgeteilt. In diesen gibt es jeweils ein Hochbett für zwei Personen und einen Schrank für diese. In einer Schulklasse sind Platz für etwa 12 bis 16 Personen. Obwohl die Zahl der Bewohner seit 2016 um das vierfache reduziert worden ist, müssen die Menschen trotzdem auf diesem beengten Platz zusammen wohnen, weil die anderen Zimmer einfach verschlossen sind. Die belegten Zimmer sind aber permanent auf. Die Bewohner leben dort auf engstem Raum zusammen und müssen nicht nur Rücksicht aufeinander nehmen, sondern auch versuchen, ihren Alltag gemeinsam zu organisieren. Mit Verweis auf den Brandschutz dürfen im Zimmer keine elektrischen Geräte an die Steckdosen angeschlossen werden. Die Securities laufen durch die Zimmer und kontrollieren die Einhaltung der Regeln. Privatsphäre gibt es in diesem Heim nicht. Die Türen zu den ehemaligen Schulklassen sind permanent offen.

Würden die Menschen dort nur kurzfristig bleiben, weil übergangsweise keine anderen Räume zur Verfügung stünden, könnte jemand auf die Idee kommen, dass dies noch erträglich wäre. Manche sind dort seit der Eröffnung als „Flüchtlingsunterkunft“, also schon fast drei Jahre, manch andrer etwa zwei Jahre. Einige der Flüchtlinge sind im Beruf und arbeiten oder befinden sich in einer Ausbildung. Die in Lohnarbeit befindlichen Flüchtlinge müssen der Stadt 300 Euro im Monat als Miete für die mit einer zweiten Person geteilten 9 Quadratmeter mit Plastik oder einer Decke abgetrennten Bereich zahlen. Die einzige Etagentoilette und die Gemeinschaftsküche sind natürlich in der Miete inbegriffen. 40 Euro pro Person werden abgezogen für Strom.

Mittlerweile gibt es auch einen Gemeinschaftsraum. Eine zweite Toilette ist geschlossen, weil es laut dem Betreiber angeblich nicht funktionsfähig ist. Im Gemeinschaftsraum ist dafür eine Steckdosenleiste zum Laden von Handys installiert worden. Im selben Raum ist auf Nachfrage der Flüchtlinge mittlerweile ein Fernseher aufgestellt. Die Fernbedienung für den Fernseher wird bei den Securities aufbewahrt. Will jemand Fernsehen schauen, muss er in das Büro der Securityfirma am Eingang und dort und darum bitten, dass der Fernseher eingeschaltet wird. Soll das Programm gewechselt oder die Lautstärke geändert werden, muss man wieder zum anwesenden Securitypersonal.

Der Waschraum ist im Keller und verschlossen. Den Schlüssel für den Waschraum wird beim Security verwahrt. Will jemand Wäsche waschen, muss er die Securities bitten, den Raum aufzuschließen. Dann wird die Wäsche in die Waschmaschine gegeben. Die Securities machen nicht nur den Flüchtlingen die Tür zum Waschraum auf, sondern beraten sie auch, wie die Wäsche zu waschen sei. Einer der Flüchtlinge erzählte, dass er seine dreckige Arbeitskleidung in die eine Waschmaschine und die andere Wäsche in die zweite Maschine geben wollte, die Securities aber darauf bestanden, dass er die Wäsche zusammen waschen sollte.

Die in Ausbildung befindlichen Personen müssen morgens früh das Haus verlassen. Also müssen sie früh morgens draußen duschen, wieder rein und dann ab zur Arbeitsstelle. Abends zurückgekommen, schaffen es sie es manchmal nicht die Wäsche vor 22:00Uhr zu waschen, weil es entweder besetzt oder weil sie auch essen müssen, nach einer körperlich anstrengenden Arbeit. Vor allem das Lernen sei besonders schwierig in den engen Räumen. Der Rhythmus jedes Bewohners ist anders. Manch einer kommt erst spät von der Arbeit, während der andere früh schlafen will, weil er um 5 oder 5:30 Uhr aufstehen muss. Ein junger Mann sagte, ich habe hier keine Ruhe, um zu lernen. Deshalb sei er in der Schule vor allem in Deutsch sehr schlecht. Ein anderer behauptet, wie soll man hier Deutsch lernen, wenn man niemanden hier empfangen kann. Ein junger Freund erzählt, dass Freundinnen oder Freunde nie wieder kommen, wenn sie sehen, wie er dort lebt. Er sagte: „Alle die uns hier sehen, denken wir seien Wilde!“

Ein junger Flüchtling, der das Privileg hatte, einen „Integrationskurs“ zu besuchen. Hat die Schule abgebrochen, weil er abends sich nicht konzentrieren und lernen konnte. Als das Jobcenter ihn danach befragte, warum er nicht mehr zur Schule ginge, schilderte er die Situation. Als die Mitarbeiter des Jobcenters erfuhren, dass er den Raum mit vielen anderen Personen teilt, wunderten sie sich, warum das Jobcenter 300 Euro an die Stadt als Miete überweist und besuchten den jungen Flüchtling, weil sie dies nicht glaubten. Danach stellten Sie die Zahlung der Miete ein.

Die jungen Menschen sagten, sie werden hier nicht nur krank, weil sie im Winter zum Duschen in die Kälte raus müssen, sondern seelisch werden sie alle langsam krank. Die fehlenden sozialen Kontakte, weil keiner sie vor Ort besuchen möchte, sind besonders schmerzhaft. Das enge Zusammengepferchtsein und die fehlende Perspektive nagen ständig an der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Erniedrigt fühlen sie sich zudem durch die Mitarbeiter des Sozialamts in Schwelm. Wenn sie fragen, ob sie in eine private Wohnung dürfen, wird ihnen gesagt, dass sie einen Nachweis, z.B. einen Attest, bringen müssen, dass sie seelische oder psychische Beschwerden haben. „Müssen wir den verrückt sein, um in eine Wohnung zu dürfen?“ sagte einer der Freunde. Ein anderer sagte: „Du wirst hier selbst verrückt, weil du hier entmündigt wirst. Keinen Hauseingangsschlüssel, keine Fernbedienung für Fernseher, kein Schlüssel für den Waschraum, keine Privatsphäre, keine Ruhe!“

Für das Asylverfahren von drei Flüchtlingen war es besonders einschneidend, weil sie die Briefe vom Bundesamt nicht erhalten haben. Sie können weder sagen, ob die Securities diese nicht gegeben haben oder ob es an die falsche Stelle im Heim abgelegt worden ist. Weil sie die Briefe nicht erhalten haben, konnten die Freunde nicht rechtzeitig Rechtsanwälte einschalten und Einspruch einlegen. Vielleicht ist das die Lösung für die Ankerzentren, dachte sich die Delegation. Einem die Möglichkeit nehmen, seinen Recht in Anspruch zu nehmen und dann behaupten, dass sie ihr Recht nicht wahrgenommen hätten.

Die Delegation versprach am Ende des Besuchs, die Informationen anderen Flüchtlingscommunities und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Weitere Treffen werden stattfinden, um der Isolation mitten in Schwelm Einhalt zu gebieten.

Wuppertal, 1. Novemember 2018
Araz Ardehali im Namen des Wuppertaler Büros der
KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
Marienstraße 52, 42105 Wuppertal
 

Mehr dazu bei http://thecaravan.org


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