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15.07.2011 Offener Brief: Exzessive Gewalt und Diskriminierung von Homosexuellen beim Polizeieinsatz während des Karnevals der Kulturen
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An:

Innensenator Dr. Erhart Körting
Senatsverwaltung für Inneres und Sport
Klosterstraße 47
D-10179 Berlin

In Kopie an:
- Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers

- LSVD Berlin-Brandenburg
- Werkstatt der Kulturen

 

Offener Brief: Exzessive Gewalt und Diskriminierung von Homosexuellen beim Polizeieinsatz während des Karnevals der Kulturen

Sehr geehrter Herr Körting,

nachdem ich in den Jahren 2007 und 2008 als damaliger Leiter der „Freiheit statt Angst“-Demonstrationen im Großen und Ganzen recht gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit mit der Polizei hatte, möchte ich Ihnen nun eine Erfahrung schildern, die mich erschüttert hat.

Am Sonntag, den 12. Juni 2011 nahm ich u.a. mit einer Vorstandskollegin und anderen am „Karneval der Kulturen“ auf dem Blücherplatz teil. Im Laufe dieses Abends wurde ich von einem Beamten mißhandelt, während ich mich ruhig und kooperativ umringt von Polizisten befand – ohne daß es einen geringsten Anlaß für körperliche Gewalt gegen mich gegeben hätte.

Ich habe mich dagegen entschieden, Anzeige zu erstatten, allerdings hoffe ich, daß Sie auf die Verantwortlichen der Züge und der Ausbildungsleiter der (Bereitschafts-) Polizei einwirken können. Ich bringe Ihnen also das hier Geschilderte in Form eines Offenes Briefes und mit Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen zur Kenntnis.

Denn es gibt Anlaß zur Sorge, wenn ein Bürger, während er in einer polizeilichen Maßnahme steckt, gegen die er sich nicht körperlich wehrt, sondern im Gegenteil Kooperationsbereitschaft zeigt, plötzlich mit körperlicher Gewalt rechnen muss.

Wenn ein Bürger also trotz regelkonformen Verhaltens eine (physische) Sanktion erdulden muss, grenzt dies an Willkür – das hoheitliche Handeln und Verhalten ist für ihn nicht mehr vorhersehbar und damit verliert letztenendes das hoheitliche Handeln seine Legitimität.

Gleichzeitig ist es äußerst besorgniserregend, wenn ein junger Beamter, weil er sich möglicherweise in einer Diskussion intellektuell überfordert wird, impulsiv zu physischer Gewalt greift. Dies bedeutet, daß ihm die für den Polizeiberuf so dringend notwendige Selbstbeherrschung fehlt und er stellt in so einem Zustand eine Gefahr für die Gesellschaft dar.

Ich möchte aber nun die Ereignisse kurz schildern.

In der Nacht gegen ca. 01:45-02:00 Uhr fuhren zwei Mannschaftswagen mitten durch die Menge, ohne daß die Fahrzeuge an den Achsen von Beamten begleitet wurden. Ich wurde vom plötzlichen Auftauchen der Fahrzeuge direkt neben mir erschreckt und schlug mit der Hand abwehrend gegen den linken Aussenspiegel, ohne Schaden zu verursachen.

Kurze Zeit später kamen mehrere Beamte auf uns zu und befahlen mir, mitzukommen. Dem leistete ich Folge. Die Beamten (der 23. Einsatzhundertschaft (2312)) warfen mir eine Sachbeschädigung des erwähnten Fahrzeugs vor. Ich erwiderte, daß, wenn es auch nur einen Kratzer an dem Aussenspiegel gäbe, ich dies einsehen und den Schaden selbstverständlich bezahlen würde. Eine Begutachtung durch die Beamten und mich zeigte aber keinerlei Schaden am Fahrzeug. Ansonsten leistete ich keinerlei Widerstand, sondern versuchte, kooperativ zu sein, wobei ich jedoch den Vorwürfen und den Maßnahmen verbal widersprach.

Die Beamten forderten meinen Ausweis, den ich Ihnen auch gab. Jedoch zeigte mir keiner der beteiligten BeamtInnen und Beamten seinen Ausweis, trotz mehrfacher Nachfrage.

Während der Überprüfung der Personalien diskutierte ich weiter mit den Beamten. Einer der Beamten, die mir am nächsten standen, verlor offenbar die Beherrschung, weil er meinen verbalen Argumenten nichts entgegensetzen konnte und warf mir unvermittelt vor, ich würde Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte leisten.

Ich konnte noch fragen, inwiefern ich den Widerstand leistete, da ich ja der Anweisung, zu folgen, sowie der Personenüberprüfung Folge geleistet hatte, als der Beamte mit äußerster Brutalität meinen rechten Arm auf den Rücken drehte und meinen Kopf dadurch derart stark auf die Motorhaube des Fahrzeugs schleuderte, sodaß ich mir eine Platzwunde an der Stirn zuzog.

Als ich versuchte, meinen Arm etwas zu lockern und einem Knochenbruch oder Auskugeln des Gelenks durch leichte Bewegung und Anpassung meiner Körperhaltung vorzubeugen, fragte mich der Beamte barsch, ob ich schwul sei.

Ein anderer Beamter setzte mich dann in ein Fahrzeug, mein Portemonnaie wurde mir hinterhergeworfen. Nach einigen Minuten, offenbar war der Zugleiter gerufen worden, wurde ich wieder freigelassen und der Zugleiter ließ mich befreien und gab mir auf mein Drängen auch seine Dienstnummer.

Soweit zum Sachverhalt.

Zusätzlich zu der unverhältnismäßigen und illegitimen Gewalt und dem damit verbundenen Hinweise auf die mangelnde psychische Stabilität des betreffenden Beamten kommt noch die Tatsache, daß der Beamte eine (vermeintlich) homosexuelle Orientierung als etwas betrachtete, was er ganz offensichtlich verachtete und mir gegenüber in Form einer Beleidigung gebrauchen wollte. Auch das spricht nicht für die geistige Reife des betreffenden Beamten.

Meine Kollegin, die während des gesamten Vorfalls als Zeugin anwesend war, berichtete mir hinterher außerdem, daß auch die anderen Beamten herablassende Witze über mich gemacht hätten.

Es stellt sich daher die Frage, ob die hier beschriebenen Mängel vielleicht doch nicht individueller, sondern systemimmanenter Natur sind. Wird den Beamten im laufe ihrer Ausbildung effektiv vermittelt, daß physische Gewalt als polizeiliches Zwangsmittel nur ultima ratio sein darf und nicht angewendet werden darf, wenn ein Tatverdächtiger sich freiwillig und ohne körperlichen Widerstand in die Hände der Beamten begibt?

So jedenfalls verstehe ich die Rechte und Pflichten der Exekutive in einer aufgeklärten Demokratie – gibt es möglicherweise strukturelle Defizite in der demokratietheoretischen Ausbildung der jungen Beamtinnen und Beamten?

Diesbezüglich stellt sich die Frage, wie die Beamten mit ihrem natürlichen Aggressionspotential umzugehen und Konflikte auch verbal zu lösen lernen? Wie wird die psychische, emotionale Eignung der Beamten sichergestellt?

Es stellt sich auch die Frage, warum Beamtinnen und Beamte der Bereitschaftspolizei in Kampfausrüstung auf einem friedlichen Fest der Toleranz eingesetzt wurden, statt eine deeskalierende Strategie und möglicherweise AKTs (Anti-Konflikt-Teams) einzusetzen.

Ferner: wie steht es mit der Erziehung zu Toleranz und Respekt gegenüber anderen Kulturen oder auch den verschiedenen sexuellen Identitäten? Müssen diese demokratischen Werte nicht einen enorm hohen Stellenwert in der polizeilichen Ausbildung genießen?

Ich würde mir eine Antwort auf diese Fragen erhoffen – ich erwarte allerdings keine Entschuldigung oder disziplinarische Maßnahmen gegen die an dem Einsatz beteiligten Beamten. Aber vielleicht mögen Sie innerhalb der Strukturen die Fragen nach den erwähnten Ausbildungsinhalten stellen die Ausbildung ggf. korrigieren.

Der Verein „Aktion Freiheit statt Angst e.V.“ empfiehlt der Berliner Polizei in diesem Zusammenhang dringend die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus der Menschenrechtsbildung, sowie der Mediation, zivilen Konfliktbearbeitung und für Fragen der sexuellen Identität. Beispielhaft seien hier die „Kurve Wustrow“, der „Bundesverband Mediation e.V.“ und der „LSVD Berlin-Brandenburg“ genannt.

Mit freundlichen Grüßen,

Ricardo Cristof Remmert-Fontes
und der Vorstand der „Aktion Freiheit statt Angst e.V.“

 

P.S.: Dieses Schreiben wurde am 16. Juni erstellt, aufgrund von Bedenken und Abstimmungen jedoch erst heute versendet. Heute ist eine Anzeige gegen Herrn Remmert-Fontes mit dem Vorwurf der „Versuchten Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel“ per Post ergangen.

Herr Remmert-Fontes erklärt dazu, daß die vorgeworfene Zerstörung weder subjektiv in seiner Absicht stand, noch objektiv betrachtet in seiner Macht oder überhaupt physisch möglich gewesen, noch in Kauf genommen worden sei. Herr Remmert-Fontes sieht einem möglichen Verfahren relativ gelassen entgegen – eine Einflußnahme durch dieses Schreiben auf das Verfahren ist nicht beabsichtigt.


P.P.S.: Der Verein „Aktion Freiheit statt Angst e.V“ spricht sich übrigens für die Berufung von Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers zur Polizeipräsidentin aus in der Hoffnung, daß Frau Margarete Koppers die (anscheinend noch nicht ausreichend gefestigte) Tradition deeskalierender Polizeiarbeit von Herrn Dieter Glietsch fortführen möge.


Der Kandidat Udo Hansen ist als damaliger Chef des BGS durch seiner Verteidigung des empörenden Todes des Flüchtlings aus dem Sudan 1999 und seiner Tätigkeit für die EADS im Folterstaat Saudi-Arabien der denkbar schlechteste Kandidat für diese wichtige Position, denn seine Vergangenheit zeigt sein menschenverachtendes Weltbild. Die Berliner Polizei benötigt eine Führung, die sich zivilen, demokratischen Grundwerten und der absoluten Achtung der Menschenwürde verpflichtet fühlt.


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Created: 2011-07-15 13:33:26
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