"Abteilung R - Kriminalitätsbekämpfung und Rückführung" handelt nicht neutral
Eine Pressemeldung des Flüchtlingsrats Berlin von gestern hat uns erschreckt. Auch nach einer Parlamentarischen Anfrage bestätigt sich die Vermutung, dass die Berliner Praxis der rechtlichen Vertretung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter nicht kindeswohlgerecht ist und sogar dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) widerspricht.
Was ist geschehen?
Die derzeitige Praxis der rechtlichen Vertretung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter (UMG) in Berlin während der (vorläufigen) Inobhutnahme durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie verstößt gegen das Kindeswohl und nationale sowie internationale rechtliche Vorgaben.
Die bisherige Regelung, wonach Mitarbeitende der Senatsverwaltung selbst die rechtliche Vertretung dieser besonders schutzbedürftigen Kinder und Jugendlichen übernehmen, führt zu unauflösbaren Interessenkonflikten und stellt keine unabhängige Vertretung sicher. Dies ergibt sich aus der Antwort der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) auf eine aktuelle parlamentarische Anfrage der Grünen vom 3.2.25 (Drucksache 19 / 21 358).
Danach bestätigt die Senatsverwaltung, dass unbegleitete minderjährige Geflüchtete nicht informiert werden, welche Person konkret ihre rechtliche Vertretung innehat. Zudem erfolgt die Altersfeststellung, eine zentrale Entscheidung für den weiteren Aufenthalt der Jugendlichen, ohne die Anwesenheit eines unabhängigen rechtlichen Vertreters. Auch bei der ausländerbehördlichen Registrierung und erkennungsdienstlichen Behandlung sowie der sogenannten Einreisebefragung fehlt eine rechtliche Begleitung und werden den Minderjährigen persönlich ausländerrechtlich relevante Dokumente förmlich zugestellt – statt einem rechtlichen Vertreter.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat bereits in seinem Urteil vom 21. Juli 2022 (Az. 5797/17) festgestellt, dass unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten „sofort“ ein Vormund oder gesetzlicher Vertreter zur Seite gestellt werden muss. Dem folgend hat am 9. April 2024 der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschieden (12 S 77/24), dass einem unbegleiteten Minderjährigen "so bald wie möglich" ein Vertreter zu bestellen ist, der ihn vertritt und unterstützt und "Organisationen oder Einzelpersonen, deren Interessen denen des unbegleiteten Minderjährigen zuwiderlaufen oder zuwiderlaufen könnten, als Vertreter nicht in Betracht kommen".
Die derzeitige Praxis der Senatsverwaltung missachtet diese Vorgabe und verletzt somit die Rechte der betroffenen Kinder und Jugendlichen.
"Es kann nicht sein, dass dieselbe Behörde, die darüber entscheidet, ob die unbegleiteten Kinder in Berlin bleiben dürfen und ob ihnen ihr angegebenes Alter geglaubt wird, gleichzeitig der Rechtsbeistand dieser Minderjährigen ist. Die Kinder brauchen von Anfang an eine unabhängige konkrete Person als rechtlichen Beistand, der sich uneingeschränkt für ihre Interessen einsetzt!", so Daniel Jasch vom Arbeitskreis Junge Geflüchtete im Berliner Flüchtlingsrat und ergänzt: "Wie sollen sie sich sonst effektiv gegen Entscheidungen der Senatsverwaltung wehren?".
Unverantwortlich ist es zudem, dass die Minderjährigen kurz nach ihrer Inobhutnahme von der Senatsverwaltung ohne rechtlichen Beistand zur Berliner Ausländerbehörde geschickt werden. Dort erfolgt eine Befragung durch die Abteilung Kriminalitätsbekämpfung und Rückführung zu Familienverhältnissen, Einreisewegen und Fluchtgründen. "Diese in der schriftlichen Anfrage ausdrücklich bestätigte Praxis widerspricht eklatant dem Kindeswohl und schockiert und verängstigt die Kinder und Jugendlichen enorm", so Jasch weiter.
Wir fordern die Senatsverwaltung daher dringend auf, die bestehenden Mängel umgehend zu beheben und von Anfang an eine unabhängige rechtliche Vertretung sicherzustellen. Konkret bedeutet das:
- Unmittelbare Einsetzung unabhängiger rechtlicher Vertreter ab dem Zeitpunkt der (vorläufigen) Inobhutnahme.
- Zugang der Minderjährigen zu ihren rechtlichen Vertretern von Anfang an, inklusive persönlicher Vorstellung und Kontaktmöglichkeit.
- Rechtliche Einbeziehung und verbindliche Anwesenheit eines unabhängigen rechtlichen Vertreters bei allen behördlichen Verfahren, insbesondere der Altersfeststellung, der ausländerbehördlichen Registrierung und der Entscheidung über eine Verteilung in ein anderes Bundesland.
- Sofortige Beendigung der dem Kindeswohl widersprechenden Praxis der sogenannten Einreisebefragung durch die"Abteilung R - Kriminalitätsbekämpfung und Rückführung"der Berliner Ausländerbehörde.
Auch die im nächsten Jahr in Kraft tretende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bestätigt dies. Das reformierte GEAS stärkt die Rechte unbegleiteter Minderjähriger und verlangt, dass ein Kind ab dem ersten Kontakt mit den staatlichen Behörden von einer geeigneten Person unterstützt und vertreten werden muss, die die erforderlichen Fähigkeiten und Fachkenntnisse besitzt und unabhängig agieren kann; Personen oder Organisationen, deren Interessen mit denen des Kindes in Konflikt stehen könnten, dürfen nicht als Vertreter bestellt werden.
Euer Flüchtlingsrat Berlin
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Erstellt: 2025-03-04 08:28:47 Aufrufe: 51
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