03.05.2023 D-Ticket mit "Anlaufschwierigkeiten"

"Digitalisierung" mit vielen kleinen Unzulänglichkeiten


Auch wenn wir uns nach dem Ende des 9€-Tickets gewünscht hätten, dass es eine Nachfolgeregelung für einen akzeptableren Preis, wie zum Beispiel ein Euro pro Tag, also ein 35€ oder ein 29 € Ticket gegeben hätte, so ist die Regelung mit dem Deutschland-Ticket für monatl. 49 € immer noch ein großer Fortschritt gegenüber dem Tarif-Wirrwarr davor.

Doch der Wunsch der Politik diese Mobilitätsinitiative mit der Digitalisierung zu verbinden, hat wieder viel Positives zerstört. So wurde zwar vereinbart, dass das Ticket digital auf dem Smartphone aber auch als Chipkarte zur Verfügung stehen sollte. Trotzdem haben einige Nahverkehrsunternehmen (oder waren es die jeweiligen Länderregierungen?) die Chipkarte verhindert. So ist es z.B. bei dem Verkehrsverbund HVB in Sachsen-Anhalt nicht möglich das Ticket auf einer Chipkarte zu bekommen.

Was sind die ersten Beobachtungen nach 2 Tagen Betrieb?

Zum letzten Wochenende ist erst einmal die Webseite der deutschen Bahn zusammengebrochen, weil sie dem Ansturm der Interessenten nicht gewachsen war. Soweit Nachrichten aus den Medien - die weiteren Beobachtungen sind leider selbst erlebt.

1. Bahnfahrt: Auch wenn wir uns bisher stets gegen ein persönliches Foto auf Fahrkarten ausgesprochen haben, so hätten wir es uns gestern gewünscht. Denn in dem zumindestens bis zum Bahnhof Potsdam recht vollen RE1 hatte die Kontrolleurin die ganze Zeit über das Problem, dass die Menschen erst ihre Ausweise suchen mussten. Das Ticket ist nur mit Lichtbildausweis gültig! Daraus folgt die Pflicht zum Mitführen eines Ausweises oder Passdokuments. Das  muss sich wohl erst rum sprechen ...mit einem Foto auf der Karte wäre es einfacher gewesen. Hintergrund ist dabei für den Bereich des Berlin-Brandenburger VBB, dass die üblichen Firmen- oder Seniorenkarten bereits ein Foto beinhalteten. Sie wurde aber zum 1.5. ohne Notwendigkeit - denn das Einverständnis zur Nutzung des Fotos lag dem VBB ja vor - gegen Karten ohne Foto ausgetauscht.

2. Busfahrt: Nun haben wir inzwischen den Harz erreicht und wollen Bus fahren. Der Busfahrer findet die Karte schön bunt, weiß aber nicht was er damit anstellen soll. Er kennt nur ein "graues Deutschland Ticket" mit einem D und der deutschen Fahne – ist die Fahne neurdings Pflicht?
Auch zwei andere Mitreisende zeigen ihm eine grüne Karte des Verkehrsverbundes aus dem Bereich der Stadt Gera.

Erst durch Vorlegen des Schreibens in meinem Fall der BVG – ist er bereit, die Karte auch ohne Kontrollmöglichkeit zu akzeptieren. Für ihn gelten nur Deutschland Tickets auf dem Smartphone. Karten aus anderen Bundesländern würde er nur in grau mit dem Aufdruck D und der deutschen Fahne akzeptieren.

Er telefoniert insgesamt dreimal mit seinem Arbeitgeber, erreicht aber niemanden, der ihm dazu eine Auskunft geben kann. Alle verweisen auf eine graue Karte mit dem großen D und der entsprechenden Fahne. Das Vorkommnis hat ihn scheinbar so aufgeregt, dass er auch gleich noch allen 6 Fahrgästen erzählt, dass am Vortag, also dem 1. Mai, bereits dreimal Fahrgäste erwischt wurden, die ihren QR-Code gefälscht hätten. Deshalb wolle "man" das Ticket zum Wochenende auch wieder abschaffen. Außer der Auto-Lobby kennen wir niemanden, der das will ...

Zu den "Fälschungen" können wir nur anmerken: In Anbetracht der Dauer der Einrichtung der App und des zugehörigen QR-Codes von 2-3 Stunden (so sagt es die App beim Installieren voraus und die Zeit braucht sie auch) ist das fast verständlich – aber natürlich sehr dumm.
Warum dauert das so lange? Sicher ist es nur die Überlastung der Server, nicht das Verschlüsseln zum Erzeugen des Codes.

Der Busfahrer erzählt weiter, dass am Vortag Kollegen von ihm die von Kunden vorgelegten Karten an ihr Leseterminal gehalten hätten, worauf hin das Kassensystem im Bus abgestürzt sei.
Wahnsinn! Leichter kann Hacken nicht sein! Das Terminal soll die vorgelegte Karte(n) lesen und ein OK oder nicht melden. Diese eine IF-Abfrage kann doch das Programm nicht überfordern. Zu vermuten ist, dass das Terminal viel mehr mit den Daten anstellen möchte, nämlich z.B. speichern wer wann wohin fährt und das sortiert nach Schülern, Studenten, Senioren, ... Wenn das Programm dann nicht weiß, wohin es speichern soll, kommt es vielleicht zu Problemen, müsste aber nicht abstürzen. Zu viel wissen wollen, ist eben auch für den Staat nicht gesund.

Als Fans einer unbeschwerten Mobilität jenseits des Autos können wir diese Häufung von Fehlern und Unzulänglichkeiten nur bedauern. Warum konnten sich Bund und Länder und die Verkehrsverbüinde nicht auf ein einheitliches Design einigen? Diesen ganzen Ärger hätte man den Beschäftigten bei Bus und Bahn gerne erspart. Auch die Reisenden wären sicher gerne entspannter in den bisher erfreulicherweise nicht überfüllten Zügen und Bussen gereist.

Update 5.5.:
Auch nach weiteren 3 Tagen hat sich nicht viel gebessert. Ein anderer netterer Busfahrer winkt gleich ab, bevor ich mein Ticket an sein Lesegerät halten kann. Auch die weitere einzige Reisende im großen Bus hat ein Handy Ticket aus Sachsen-Anhalt muss er mit den Worten vertrösten: "Das funktioniert noch nicht."

In einem Nahverkehrszug in Sachsen-Anhalt kennt der Kontrolleur die Berliner Ticket, meint aber, er könne sie nicht prüfen. Das wüsste er, weil er früher mal in der IT gearbeitet hat. Lediglich im RE1 auf der Strecke Magdeburg-Berlin gibt es keine Probleme, weil diesmal einfach keine Kontrolle erfolgt. ;-)

Update 09.05.23: Mit D-Ticket ins Ausland
Wahrlich, es ist möglich, weil einige Orte grenzüberschreitend mit an den Nahverkehr angeschlossen sind. Es empfiehlt sich vor Benutzung nochmal zu fragen, weil - wie wir oben gesehen haben - die Informationslage recht unterschiedlich sein kann. Hier ist die Liste.
Harzer Schmalspurbahn,HSB, außer die Strecke zum Brocken
Swinemünde, Polen
Krzewina, Szczecin, Polen
Zgorzelec (Görtlitz)
Grottau, Tschechien
Warnsdorf, Tschechien
431 91 Weipert, Tschechien
Salzburg, Österreich
6382 Griesenau, Österreich
Kufstein, Österreich
Ehrwald, Österreich
6682 Vils, Österreich
Thayngen, Schweiz
Trasadingen, Schweiz
Schwarzwaldallee 200, 4058 Basel, Schweiz
67630 Lauterbourg, Frankreich
67160 Weißenburg, Frankreich
57200 Saargemünd, Frankreich
Carling, Frankreich
Luxemburg
Vianden, Luxemburg
Clerf, Luxemburg
Kelmis, Belgien
Bleyerheide, 6462 TZ Kerkrade, Niederlande
Sittard, Niederlande
Venlo, Niederlande
Venlo, Niederlande
6574 Ubbergen, Niederlande
6566 AP Millingen am Rhein, Niederlande
6573 WX Beek, Niederlande
7041 ZS 's-Heerenberg, Niederlande
Zevenaar, Niederlande
Stationsplein 166, 6811 KJ Arnhem, Niederlande
Enschede, Niederlande
Hengelo, Niederlande
Oldenzaal, Niederlande
6270 Tondern, Dänemark

Rainer für Aktion FsA

Update 17.05.23: Netzpolitik.org stellt fest: Das Deutschlandticket ist mit 49 Euro pro Monat nicht nur deutlich teurer, sondern birgt – wegen des personalisierten Abo-Modells – Probleme beim Datenschutz
Das "Nationale Monitoring" erkennt Fälschungen, Kopien, kompromittierte Schlüssel zu Ticketausgabe und liefert Daten für die Einnahmeaufteilung. Datum und der Ort der Kontrolle werden zwar nach maximal drei Monaten gelöscht. In Zukunft sollen durch ein System alle Ausgabe- und Kontrolltransaktionen zentral abgeglichen werden, um die Aufteilung der Bundeszuschüsse an die Nutzung anzugleichen.
Also kommt noch mehr Kontrolle unserer Bewegungsprofile ...
https://netzpolitik.org/2023/geodaten-und-personalisierung-datenschutzrisiko-deutschlandticket/

Update 10.06.23: "Bloß nicht ranhalten, nur vorzeigen!"
... ist aktuell nach 40 Tagen D-Ticket die Ansage in Bussen des HVB, wenn man ein fremd aussehendes Ticket an das Lesegerät im Bus halten möchte. Die angeblichen Kassenabstürze scheinen auch nach einem Monat bei den FahrerInnen Angst auszulösen.
Auch in den Zügen RB40 und RE1 wurde selbst bei einer Auslastung um die 50% auf die Kontrolle der Tickets verzichtet. Damit relativiert sich die Besorgnis von netzpolitik.org (s.o.) nach dem Anlegen von Bewegungsprofilen erheblich. Allerdings kann das Unvermögen der Technik für uns kein Grund sein, diese Möglichkeit geringzuschätzen. Fest steht jedenfalls, dass momentan weder die Bahn noch das Verkehsministerium irgendwelche sinnvollen Nutzungsdaten erhält.

Update Juli 23: In der fairkehr Juli 23 steht zur ersten Bilanz zum Deutschland-Ticket
11 Millionen Ticket-Abos wurden bereits abgeschlossen (Stand: 20.06.2023). Besonders erfreulich: 800 000 davon wurden von Personen gekauft, die vorher nicht regelmäßig Bus und Bahn gefahren sind. Langfristig rechnen die Verkehrsunternehmen mit 17 Millionen aktiven Deutschland-Tickets.
Ganz ohne Schwierigkeiten lief der Start des Tickets allerdings nicht ab: ... Ein Mangel an Chipkarten führte jedoch dazu, dass mancherorts Tickets vorübergehend auf Papier ausgegeben werden mussten, was wiederum teilweise zu Problemen bei Kontrollen in anderen Verkehrsverbünden führte. Diese Probleme müssen schnellstmöglich endgültig gelöst werden! Außerdem muss der Ausbau des ÖPNV-Angebots, vor allem auf dem Land, vorangetrieben werden, damit noch mehr Menschen das Deutschland-Ticket zum Umstieg auf eine klimafreundliche Mobilität überhaupt nutzen können.

Update Sep 23: Nach einem halben Jahr klappt es auch bei den Bussen des HVB. Legt man jetzt sein Ticket auf die Lesefläche, so erscheint die Meldung "Ticket OK".
Allerdings kann von einer flächendeckenden Erfassung aller Fahrten mit dem 49€ Ticket nicht die Rede sein, weil auch in Zügen nur selten kontrolliert wird.

Mehr dazu bei https://www.berliner-zeitung.de/news/pannen-zum-start-des-49-euro-tickets-server-bei-der-deutschen-bahn-ueberlastet-probleme-beim-verkauf-von-deutschlandticket-li.343698
und ergänzend u.a. Forderungen der Fahrgastverbände hier: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/05/deutschlandticket-fahrgastverbaende-nachbesserungen.html


Kommentar: RE: 20230503 D-Ticket mit "Anlaufschwierigkeiten"

Das 49€ Ticket lässt mehr Menschen außen vor als gedacht:
- Menschen ohne Internet
- Menschen ohne Smartphone
- Menschen ohne Bankkonto
- Menschen mit geringer Bonität
"Nur digital" und "nur Abo" sind u.a. Hauptbeschwerden von Senioren. Aber nicht nur Senioren bleiben außen vor.

Ti., 14.05.23 17:18


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Erstellt: 2023-05-03 08:02:23
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