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20.11.2020 Vorstoß für neue VDS zurückweisen

"Praktiker" hätten gern unsere Daten

Gestern fand in Wiesbaden ein "Praktikertreffen der Länder Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zur Verkehrsdatenspeicherung" statt. Auf Einladung der drei Justizminister/innen Eva Kühne-Hörmann (Hessen), Barbara Havliza (Niedersachsen) und Peter Biesenbach (Nordrhein-Westfalen) waren gestern "Praktiker" von Staatsanwaltschaften der drei Länder zusammengekommen, um in einem Symposium über die Notwendigkeit der Wiedereinsetzung der Verkehrsdatenspeicherung zu diskutieren.

Jetzt reiben wir uns erst einmal die Augen - haben wir uns verlesen oder geht um das ebenfalls illegale anlasslose Fotografieren und Speichern von Kfz-Kennzeichen?

Nein, die anlasslose Speicherung der Kfz-Kennzeichen wurde bereits in vielen Bundesländern von Gerichten verboten - aber die Vorratsdatenspeicherung (VDS) - nun neuerdings Verkehrsdatenspeicherung genannt, wurde sogar von höchsten Gerichten, vom BVerfG und vom EuGH, verworfen.

Trotzdem beschwören die gestern in Wiesbaden Anwesenden:

  • Unsere Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erwarten die Wiedereinsetzung der Verkehrsdatenspeicherung ...
  • Für uns als Strafverfolger ist es noch immer ein kaum zu ertragender Zustand, dass derzeit jährlich ca. 60.000 Hinweise auf Verbreitung von Kinderpornographie und sexuellen Missbrauch von Kindern beim Bundeskriminalamt eingehen und in zigtausenden Vorgängen der letzten Jahre eine Zuordnung der übermittelten IP-Adressen zum Anschlussinhaber daran scheiterte, dass die Daten von den Providern gelöscht worden waren.
  • Es geht um IP-Adressen, also lediglich um digitale Spuren, die vergleichbar sind mit Fingerabdrücken im realen Leben.
  • Ich begrüße es sehr, dass der Europäische Gerichtshof eine generelle Speicherung von IP-Adressen möglich macht. Nichts anderes wollen wir. Wir möchten nicht irgendwelche Daten von Kleinkriminellen sammeln, wir möchten aber bei schweren Delikten wie zum Beispiel bei Kindesmissbrauch auf die Daten zugreifen können.

Nach den erschreckenden Vorfällen von Bergisch-Gladbach, Münster und Lüdge war so ein Vorstoß zu erwarten. Leider können wir die Beteuerungen, wie im letzten Absatz nicht glauben. Jedes Überwachungsgesetz wurde bisher in üblicher Salamitaktik so ausgeweitet, dass es schließlich selbst für Ordnundgswidrigkeiten anwendbar wurde. Diese umfassende Überwachung wird auch am vorletzten Argument deutlich: Ja, IP-Adressen sind wie Fingerabdrücke und wir möchten nicht, dass diese von uns allen bei jeder Kommunikation gespeichert werden - genauso wenig wie wir nicht möchten, dass sie in unserem Personalausweis gespeichert werden!

Deshalb begrüßen wir die prompte Antwort von Digitalcourage zu diesem Treffen.

P r e s s e m i t t e i l u n g, Bielefeld 19.11.2020

Nach einem sogenannten Praktikertreffen der Länder Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zur Vorratsdatenspeicherung haben die teilnehmenden Minister in einem Appell die Wiedereinsetzung der ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gefordert. [1]

Das dafür verwendete Wort „Verkehrsdatenspeicherung“ soll offenbar verschleiern, dass es gegen die Vorratsdatenspeicherung bereits mehrere nationale und EU-weite Gerichtsurteile gibt und, dass Verfassungsbeschwerden u.a. von Digitalcourage gegen das aktuelle deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eingereicht wurden. Argumentiert wurde – wie so oft – mit dem Schutz von Kindern vor Gewaltkriminalität und deren Online-Vermarktung.

Digitalcourage kritisiert:

  • Kinder- und Datenschutzorganisationen waren an dem Praktikertreffen nicht beteiligt. Ebensowenig Vertreter.innen von Verbänden, die Betroffene von Verkehrsdatenspeicherungen vertreten, wie Journalist.innen, Anwält.innen oder Seelsorger.innen-Verbände.
  • Überwachungsfreie Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung wurden nicht diskutiert. Laut einem Bericht aus dem Innenministerium NRW verfügt das Land beispielsweise über keine Telefonstelle, an die sich Menschen mit Hinweisen oder Fragen wenden zum Thema Kinderschutz können. [2]
  • Sozialpolitische Maßnahmen, die Kinder im Vorfeld von Taten schützen können, wie verbesserte Zusammenarbeit von Behörden, Schulungen für Mitarbeitende von Schulen oder Sozialämtern und andere Maßnahmen, die Kinder konkret und präventiv schützen, wurden nicht diskutiert.
  • Der Versuch des Ministertreffens, für die Vorratsdatenspeicherung ein neues Wort zu etablieren, ist irreführend und unangemessen. Die Speicherung von IP-Adressen ist keine Kleinigkeit, es handelt sich um personenbezogene Daten laut BGH-Urteil vom 16.5.2017 (Az VI ZR 135/13). Alle einschlägigen Vorschläge zur Vorratsdatenspeicherung beziehen außerdem weitere empfindliche Daten wie etwa Mobilfunk-Standorte mit ein. Vor allem jedoch handelt es sich bei all diesen Vorschlägen genau um eine generelle Speicherung von Daten auf Vorrat, um sie eventuell später abrufen zu können. Genau dies ist ein zentrales Problem all dieser Vorschläge, weil damit die Bevölkerung effektiv unter Generalverdacht gesetzt wird. \ Digitalcourage stellt fest, dass dies mindestens der zweite Versuch ist, den offensichtlich unangenehmen Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ zu vermeiden, nachdem das zur Zeit ausgesetzte Gesetz aus dem Jahr 2015 die Wörter „Mindestspeicherfrist“ und teilweise (noch irreführender) „Höchstspeicherfrist“ verwendete. Wir fordern die Medien auf, diese Verschleierungsversuche nicht weiterzutragen.
  • Der Journalist Andre Meister weist darauf hin [3], dass in der Pressekonferenz zum Praktikertreffen lediglich einzelne Fälle angeführt wurden. „Aber Beispiele sind kein hinreichendes Kriterium für einen Nachweis. (…) Die Wissenschaft hat keinen Nachweis für die Notwendigkeit der [Vorratsdatenspeicherung] gefunden“. Andre Meister verweist hierzu auf die Studie „Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeicherung?“ des Max-Planck-Insituts.

„Der Normalfall in Demokratien und Rechtsstaaten muss lauten: keine Überwachung von Kommunikation. Ausnahmen müssen konkret begründet, gezielt und verhältnismäßig sein“, sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Der Fokus sollte auf Maßnahmen gerichtet werden, die Kinder konkret und gezielt vor Missbrauch schützen – nicht auf die Frage, wie Massenüberwachung begründet werden kann.“

Digitalcourage zum jüngsten Urteil des EU-Gerichtshofs:
https://digitalcourage.de/blog/2020/vorratsdatenspeicherung-urteil-anlasslose-massenspeicherung-illegal

Terminologischer Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt:
http://luxembourgguidelines.org/german/

[1] https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/praktikertreffen-der-laender-nordrhein-westfalen-hessen-und-niedersachsen-zur
[2] https://digitalcourage.de/blog/2020/kinderschutz-vorratsdatenspeicherung-hilft-nicht
[3] https://twitter.com/andre_meister/status/1329422224512733184

Digitalcourage e.V., Marktstraße 18, 33602 Bielefeld

Mehr dazu bei https://digitalcourage.de/pressemitteilungen/2020/pm-vorratsdatenspeicherung-nrw-hessen-niedersachsen


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Erstellt: 2020-11-20 09:15:58
Aufrufe: 706

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