Zeit hinab in den Keller zu steigen ...
Nach der rassistischen Ermordung von George Floyd in den USA haben sich die Menschen auf der ganzen Welt erhoben und ihre Solidarität mit den Opfern von Polizeigewalt in vielen Demos gezeigt - wir waren dabei.
Nach dem Erschrecken über die Vorgänge in den USA kam der Blick in den "eigenen Keller". Auch unsere Polizei ist beim Vorgehen gegen fremd aussehende Menschen oft nicht zimperlich. WeMove.eu hat diesen "Blick in den eigenen Keller" in verschiedenen EU Ländern nachvollzogen.
Laura von WeMove Europe schreibt:
Europa hat auch ein Problem mit Rassismus und Ungerechtigkeit
Als ich am Montag Radio hörte, gingen mir diese Worte richtig unter die Haut:_ "Unser Land ist wie ein sehr altes Haus. Ich liebe alte Häuser. Aber alte Häuser brauchen viel Arbeit. Und die Arbeit hört nie auf. Genau so ist es bei unserem Land. Vielleicht wollen Sie lieber nicht in den Keller gehen, aber wenn Sie es nicht tun, kann das gefährlich werden."
Die Worte kommen von Isabel Wilkerson, einer US-amerikanischen Journalistin und Pulitzer-Preisträgerin. Sie sprach darüber, dass wir die Geschichte (in diesem Fall die Sklaverei und ihre Folgen) kennen und verstehen müssen, um die Gegenwart zu begreifen - nämlich Rassismus und Polizeigewalt. Als ich das hörte, dachte ich: Was erwartet uns im Keller Europas? Und sind wir bereit, uns das anzuschauen?
Rassismus ist auch in Europa ein großes Problem. Auch wir haben eine schwierige Geschichte, und wir müssen in den Keller steigen und uns an die Arbeit machen. Gerade jetzt ist das wichtig. Davon möchte ich Ihnen heute erzählen.
Jede Region und jedes Land hat eine eigene Geschichte und eigene Keller. Und es gibt auch einen großen gemeinsamen europäischen Keller. Den größten Platz darin nehmen die beiden Weltkriege ein, die in Europa begannen - und unsere Geschichte des Kolonialismus. Was die Kriege betrifft, ist schon einiges an Aufarbeitung geleistet worden. Aber es ist viel schwieriger, Beispiele für eine angemessene Auseinandersetzung mit unserer kolonialen Vergangenheit zu finden. Europa scheut den Weg in diesen Keller.
Vor einem Monat wurden die Kellertüren in den USA und anderswo weit aufgesprengt - ausgelöst durch den Mord an George Floyd. Zum ersten Mal seit langer Zeit sind wir gezwungen, uns den hässlichsten Seiten unserer Geschichte, unserer Geschichten, unserer nationalen Identitäten zu stellen. In den USA werden Symbole des historischen Rassismus aus dem öffentlichen Raum entfernt, dasselbe geschieht in Europa - insbesondere in Bezug auf unsere Kolonialgeschichte.
Zum Beispiel Belgien: Als ich 2001 hierher kam, konnte ich nicht nachvollziehen, warum König Leopold II., der eine Industrie des Mordens und Verstümmelns von buchstäblich Millionen Kongolesen organisierte, immer noch überall im Land mit Statuen geehrt wurde. Als direkte Antwort auf die Konfrontation, die wir jetzt mit unserer Geschichte erleben, wird der Raum, den wir diesen Statuen geben, in Belgien, Italien, Großbritannien und anderswo in Frage gestellt. Indem wir uns in den Keller und in die Konfrontation mit dem wagen, was dort ist, versöhnen wir unsere Gesellschaften und sind ehrlicher zu uns selbst. Diese Statue von Leopold II. in Antwerpen wurde vor einigen Wochen entfernt, nachdem sie beschädigt und in Brand gesteckt worden war. Das passiert gerade auch mit anderen Statuen von Leopold II. in ganz Belgien.
Es braucht viel Mut, um in diesen Keller zu steigen - um sich für die Menschen, Gerechtigkeit und Versöhnung einzusetzen. Und zum Schutz des Planeten. Viele verschließen lieber die Augen davor, dass wir unseren Planeten kaputt machen. Es ist schwer sich einzugestehen, dass wir uns vor gar nicht langer Zeit für ein sehr riskantes System entschieden haben, das Konsum und endloses Wirtschaftswachstum feiert und dafür Zerstörung in Kauf nimmt - mit weiter steigenden Treibhausgas-Emissionen, Artensterben und einer immer größeren Wahrscheinlichkeit des planetarischen Zusammenbruchs.
Und unser kapitalistisches Wirtschaftsmodell ist ohne den Kolonialismus nicht zu denken - so viel von unserem Reichtum wurde mit kolonialer Brutalität aufgebaut und finanziert. Diese Systeme haben unseren Planeten jahrzehntelang verwüstet - und wurden innerhalb weniger Wochen während der COVID-19-Krise fast vollständig lahmgelegt. Deshalb ist es jetzt so wichtig, dass Europas Konjunktur- und Aufbaupläne grün und nachhaltig sind: um Unrecht und Missstände zu korrigieren und für eine bessere Zukunft zu sorgen. Wir müssen jetzt unser altes Haus reparieren und in den Keller steigen und anpacken.
Auf EU-Ebene stellen einige Politiker/innen mutige Fragen, die an unserem bisherigen Wirtschaftsmodell rütteln. Unsere Regierungschefs verhandeln gerade darüber, wie Europa am besten aus der COVID-19-Krise kommt. Ihr Plan für einen grünen und gerechten Wiederaufbau ist die größte Chance seit Langem, eine ganz neue Wirtschaft zu errichten. Eine Wirtschaft, die den Menschen zugute kommt, indem sie kleine Unternehmen unterstützt, für neue Jobs sorgt, die öffentlichen Verkehrsmittel und energieeffiziente Wohnungen fördert - und die Emissionen drastisch reduziert.
Letzte Woche trafen sich die EU-Chefs bei einer Videokonferenz, um über die Finanzierung des Konjunkturprogramms zu beraten. Aber die sogenannten "Sparsamen" - Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark sprachen sich bei dem Treffen gegen Solidarität aus. Xavier Bettel, Premierminister von Luxemburg, twitterte über das jüngste Treffen der EU-Chefs zur Finanzierung des Wiederaufbauplans.
Wir werden deshalb in den kommenden Monaten freundlich aber entschieden Druck auf die Sparsamen ausüben müssen. Wenn sie sich weiterhin gegen Solidarität entscheiden, werden diejenigen, die von der COVID-Krise am härtesten betroffen sind - die Beschäftigten des Gesundheitswesens, diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder davon bedroht sind nicht die Mittel haben, sich von dem größten wirtschaftlichen Schock zu erholen, den Europa in den letzten Jahrzehnten erlebt hat.
Wir werden keine Sparmaßnahmen 2.0 hinnehmen, und wir werden dies kurz vor dem nächsten EU-Gipfel am 17. Juli deutlich machen - damit alle europäischen Regierungen einem großen Wiederaufbaufonds zustimmen.
Wir müssen jetzt die Türen zu unserem Keller aufstoßen. Das gilt für Europa genauso wie für die Welt. Wenn wir uns Fehler und Versagen der Vergangenheit ehrlich eingestehen, ist das unsere beste Chance auf Versöhnung und Vorsorge für die Zukunft. Isabel Wilkerson sagte auch: "Was auch immer Sie ignorieren, es wird nicht verschwinden. Es wird so lange da sein, bis Sie sich damit auseinandersetzen. Und ich denke, das ist es, was wir genau jetzt zu tun haben."
Weise Worte. Folgen wir ihnen.
Laura, Geschäftsführerin, WeMove Europe
Mehr dazu bei https://act.wemove.eu/campaigns/humanity-first-greece-turkey
und https://www.aktion-freiheitstattangst.org/de/articles/7293-20200610-systemischer-rassismus.htm
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Erstellt: 2020-06-30 15:58:44 Aufrufe: 751
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