|
70-Jährige ohne Computer wegen File-Sharing verurteiltSeit mehr als 5 Jahren betreiben wir als Verein in und um unser BUFDI Büro einen Knoten für Berlin.Freifunk.de. Damit haben alle Besucher unseres Büros, alle auf der Straße Vorbeikommenden und damit vor allem die Bewohner des 2 Grundstücke entfernten Flüchtlingsheims einen freien Internetzugang. Eigentlich sollte Jede/r Besitzer eines DSL Anschlusses ein wenig von der Leistung seines Internetzugangs für Andere freigeben - leider tun das die meisten nicht obwohl es eigentlich nichts kostet außer ca. 10€ im Jahr für den Strom des Routers. Nur etwa 500 Freifunk Knoten gibt es in Berlin. Ein rechtliches Hindernis war lange Zeit die in Deutschland EU-weit einzigartige "Störerhaftung". Diese Vorschrift macht(e) den Betreiber eines frei zugänglichen Internetanschlusses haftbar für Vergehen der (anonymen) Nutzer des Anschlusses. Wenn also ein Nutzer Filme öder Musik über diesen Anschluss herunterlädt oder anbietet, konnte der Rechteinhaber den Anschlussbesitzer belangen. 2016 wollte man sich mit einer Gesetzesänderung von der Störerhaftung verabschieden ( Abschaffung der Störerhaftung eine Mogelpackung? und Immer noch "halbe" Störerhaftung im WLAN-Gesetz ). Grundsätzlich trennt deutsches und EU-Recht den Transport der Daten (Providerprivileg) und die Bereitstellung und Nutzung des Inhalts (Content). Beim privaten Internetanschluss sollte das in Deutschland jedoch nicht gelten und Gerichte mussten sich oft damit beschäftigen ob Freikunkern das Providerprivileg zukommt. Um die Freifunker zu schützen, nutz(t)en sie für die Weiterleitung des Internetverkehrs VPNs (virtuelle verschlüsselte Netze), so dass ihre eigene IP Adresse im Freifunk-Verkehr gar nicht auftaucht. Mit der Abschaffung der Störerhaftung haben einige Freifunkvereine darauf verzichtet. So ein Fall entwickelt sich im Kölner Raum zu einem Gerichtsverfahren. Ein Kölner hat in seinem Haus einen Freifunk-Knoten eingerichtet, Anschlussinhaberin und damit Vertragspartnerin des Providers ist seine Mutter, die jedoch selber den Internetzugang – schon in Ermangelung eines eigenen Computers – nicht benutzt. Diese wurde von der Warner Bros. Entertainment GmbH „illegalen Filesharings“ abgemahnt. Das Amtsgericht Köln verurteilte sie am 08.06.2020 (148 C 400/19) zur Zahlung eines Schadensersatzes von 2000,- €. Das Urteil weist auf eine in letzter Zeit zunehmende Tendenz zur Umkehr der Unschuldsvermutung hin. In solchen Urheberrechtsverfahren müssen Anschlussinhaber neuerding darlegen, dass sie als Täter nicht in Frage kommen, teilweise sollen sie dies sogar beweisen - und es ist äußert schwierig zu beweisen, dass man etwas nicht getan hat. FreifunkStattAngst stellt dazu fest: Dies geschieht gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der mit der Novelle des TMG (3. TMGÄndG von 2017) ausdrücklich eine Haftungsgefahr für Anschlussinhaber ausschließen wollte, unter anderem, um den digitalen Standort Deutschland nicht durch eine Welle unlauterer Abmahnungen zu gefährden. In den letzten Jahren sahen sich jedoch weit über 100.000 Menschen in Deutschland einem solchen Rechtsstreit ziemlich hilflos ausgesetzt. Die Richter führen dazu eine prozessuale Erleichterung, nämlich die „tatsächliche Vermutung eines Sachverhalts“ ein.Diese Beweiserleichterung für Warner Bros. führte dann in diesem Fall zur Konstellation, dass eine fast siebzigjährige Dame, die zum Tatzeitpunkt weder einen Computer zu benutzen wusste noch den Hauch einer Ahnung von Fileharing-Tauschbörsen hatte, als Täterin genau einer solchen Handlung verurteilt wurde und für eine Tat 2.000,- € Schadensersatz zahlen soll, die sie – von der Gegenseite komplett unbestritten – nicht begehen konnte! Dabei verkennt der Richter am Amtsgericht Köln Köster-Eiserfunke nicht einmal, dass die Mutter DiensteanbieterIn ist, da sie Dritten den Zugang zum Internet vermittelt, § 2 Satz 1 Nr. 1 Telemediengestz. Er wendet jedoch die gesetzlich bestimmte Haftungsprivilegierung zu ihren Gunsten nicht an, sondern verweist wieder auf die sekundäre Darlegungslast. Dieser kann die Beklagte jedoch nicht folgen, das ihr weder persönlich die technische Begriffe noch objektiv das Wissen über den "Täter" in einem offenen WLAN zur Verfügung stehen. Fazit: In keinem anderen Gebiet des Zivilrechts kann einem Anspruchsgegner auferlegt werden, selber detektivisch tätig zu werden. Schlimmer noch: Einem Betreiber eines Internetzugangs – hier eines Freifunkknotens – ist es juristisch tatsächlich verboten, so umfangreiche Protokolle anzufertigen, um später den Täter einer einfachen Urheberrechtsverletzung nennen zu können. Unsere Vermutung einer Mogelpackung in der Gesetzesänderung von 2016 scheint sich zu bestätigen. Mehr dazu bei http://freifunkstattangst.de/2020/06/12/die-alte-dame/#comment-136877 Kommentar: RE: 20200613 Störerhaftung abgeschafft oder doch nicht? Richter Raddatz vertritt dabei in seinem Urteil die Ansicht, den Anschlussinhaber treffe die Verantwortung, nachvollziehbar vorzutragen welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen. Be., 13.06.2020 18:12 RE: 20200613 Störerhaftung abgeschafft oder doch nicht? Wer übrigens dachte, mit der Verurteilung einer 70-Jährigen ohne PC für Filesharing sei das Ende der Fehlurteil-Fahnenstange schon erreicht, der sieht sich getäuscht. Im Berufungsverfahren vor dem Kammergericht Berlin (analog OLG in anderen Bundesländern) haben die Richter das klar Formulierung und Intention des Telemediengesetzes verletzende Fehlurteil der Vorinstanz nicht nur bestätigt sondern sogar eigenhändig mal eben den Streitwert von 10.000€ auf 16.000€ erhöht. Die Sache ist jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Fe., 13.06.2020 23:41 RE: 20200613 Störerhaftung abgeschafft oder doch nicht? "Ein Betreiber von offenem WLAN kann nun weder kostenpflichtig abgemahnt noch schadenersatzpflichtig gemacht werden, siehe §8 (3) Telemediengesetz." Ha., 17.06.2020 11:34 RE: 20200613 Störerhaftung abgeschafft oder doch nicht? Ich bin sehr gespannt, ob das in die nächste Instanz geht. Ich würde es der alten Damen wünschen, dass sie gesundheitlich noch so stabil ist, dass sie das weiter ausfechten lässt. Finanziell dürfte das kein allzu großes Risiko sein, da es viele Freifunker und freie Netzwerker geben wird, die ihr dabei finanziell unter die Arme greifen würden An., 18.06.2020 08:20 RE: 20200613 Störerhaftung abgeschafft oder doch nicht? Wir sollten vielleicht einfach die Kriegskassen füllen, da solche oder ähnliche Fälle immer wieder auftreten können. Bo., 18.06.2020 09:09 RE: 20200613 Störerhaftung abgeschafft oder doch nicht? hier ist Lobby-Arbeit erforderlich, um eine entsprechende Anpassung des TMG zu erreichen. Li., 18.06.2020 09:48 Kategorie[21]: Unsere Themen in der Presse Short-Link dieser Seite: a-fsa.de/d/3a4 Link zu dieser Seite: https://www.aktion-freiheitstattangst.org/de/articles/7296-20200613-stoererhaftung-abgeschafft-oder-doch-nicht.html Link im Tor-Netzwerk: http://a6pdp5vmmw4zm5tifrc3qo2pyz7mvnk4zzimpesnckvzinubzmioddad.onion/de/articles/7296-20200613-stoererhaftung-abgeschafft-oder-doch-nicht.html Tags: #Urteil #Überwachung #TMG #Telemediengesetz #Störerhaftung #Freifunk #WLAN #Verbraucherdatenschutz #Datenschutz #Datensicherheit #Ergonomie #Zensur #Informationsfreiheit #Anonymisierung #Meinungsfreiheit #Netzneutralität #OpenSource #Verschlüsselung #Abmahnanwälte #Tauschbörsen #Mogelpackung Erstellt: 2020-06-13 09:08:19 Aufrufe: 835 Kommentar abgeben |
CC Lizenz Mitglied im European Civil Liberties Network Bundesfreiwilligendienst Wir speichern nicht World Beyond War Tor nutzen HTTPS nutzen Kein Java Transparenz in der Zivilgesellschaft |