Die Liste der Grausamkeiten
Von Asylkompromiss war die Rede. Da erwartet man, dass sich in dem Gesetzespaket der (kleinen) GroKo Positionen der CDU/CSU und der SPD finden müssten. Das Gegenteil ist der Fall.
Wenn es in der SPD mit den Grundrechten in Einklang stehende menschenrechtsunterstützende Positionen gegeben hat, dann haben die SPD-Innenpolitikerinnen der Bundestagsfraktion in ihren Verhandlungen mit der Union kläglich versagt. Ausgehende von dem Gesetzentwurf vor einigen Wochen, sind nun in den sogeannten "Kompromiss" fast nur noch Positionen der CDU/CSU hineinverhandelt worden.
Die SPD verkauft dies nun allen Ernstes als „guten Kompromiss“ und bittet die Bundestagsabgeordneten in einem zehnseitigen „Liebe Freundinnen-Brief“ um Zustimmung: „Es ist uns gelungen, ein Gesamtpaket zu schnüren, das die richtige Balance findet zwischen Humanität und Realismus, Idealismus und Pragmatismus, Chancen geben und klaren Regeln, wer bleiben kann und wer unser Land verlassen muss.“
Der Flüchtlingsrat Berlin stellt fest: Das Gegenteil ist der Fall! Schon die Kabinettsbeschlüsse waren ein mieser Kompromiss. Wie nun aus einem ursprünglich miesen Kompromiss mit noch vielen zusätzlichen Verschlechterungen und Verschärfungen wundersamerweise ein „guter Kompromiss“ geworden sein soll, bleibt schleierhaft. Es deutet einiges darauf hin, dass die sozialdemokratischen Verhandlungsführerinnen entweder den Wesensgehalt des Begriffs „Kompromiss“ nicht wirklich verstanden haben oder unter einem erheblichen Schwund an Urteilsvermögen leiden. Oder – schwer vorstellbar: Sie halten tatsächlich für richtig, was da nun beschlossen werden
soll. Dann aber würde die SPD sich dem Weg der dänischen Genossinnen anschließen und auf eine offen reaktionäre Migrationspolitik einschwenken.
Was steht un in dem Gesetzespaket?
- Zwingende Lagerunterbringung von Asylsuchenden bis zu 18 Monatein Landeseinrichtungen, nach Ablehnung des Asylantrags und in vielen anderen Fällen auch unbefristet (Ausnahme: Familien mit Kindern sechs Monate).
- „Ausreisegewahrsam“ (also Abschiebungshaft) bereits dann, wenn die Ausreisepflicht um 30 Tage überschritten worden ist (das betrifft fast alle).
- Verlängerung der eingeschränkten AsylbLG-Grundleistungen von 15 auf 18 Monate.
- Ausschluss aller Geduldeten von der Beschäftigungsduldung, die nach 1. August 2018 eingereist sind.
- Drei Monate Wartezeit für die Ausbildungsduldung, in denen die Abschiebung versucht werden soll. Ursprünglich waren sechs Monate geplant, daher verkauft die SPD die „Verkürzung“ als Erfolg – und vergiss dabei, dass dies dennoch eine Verschlechterung zur aktuellen Rechtslage ist.
- Als weiteren Erfolg verkauft die SPD die Einführung einer „unabhängigen“ Asylverfahrensberatung. Im Gesetz steht aber: „freiwillige, unabhängige, staatliche Asylverfahrensberatung durch das BAMF“. Nach Belieben darf auch Wohlfahrtsverbänden der Auftrag für die Beratung erteilt werden. Das ändert nichts am Status quo, ist also keine Verbesserung.
- Für über 45jährige Fachkräfte wird im Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine Mindesteinkommensgrenze eingeführt, die bei ungefähr 44.000 Euro liegen wird. Dies kommt einem faktischen Einreiseverbot für viele ältere Fachkräfte gleich.
Bereits im Kabinettbeschluss hatte die SPD sich auf folgende Verschärfungen eingelassen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Vollständige Leistungsausschlüsse für in anderen EU-Staaten anerkannte international Schutzberechtigte, die in Deutschland „vollziehbar Ausreisepflichtig“ sind und denen rechtswidrig eine Duldung verweigert wird – ein Aushungern ohne Leistungen für Essen, Unterbringung usw. Dies betrifft auch Familien mit Kindern und andere Schutzbedürftige, die somit in Deutschland in die Obdachlosigkeit gezwungen werden sollen. Damit wird Deutschland sich an einem Unterbietungswettbewerb mit den anderen Unionsstaaten wie Ungarn, Italien, Bulgarien, Griechenland im Hinblick auf die größtmögliche soziale Entrechtung beteiligen. Wer dort im Elend gelebt hat, soll auch in Deutschland im Elend leben und gezwungen werden, in das ihm zugewiesene europäische Elend zurückzukehren.
- Drastische Ausweitung der Sanktionstatbestände im AsylbLG auf zahllose Fälle,
- Verweigerung des menschenwürdigen Existenzminimums für große Personengruppen.
- Einführung einer „Duldung light“für Personen, die aus Sicht der ABH nicht an Identitätsklärung und Passbeschaffungspflichten mitwirken. Es handelt sich um einen Status der weitgehenden Entrechtung mit zwingenden Arbeitsverboten, Residenzpflicht, Integrationsverboten.
- Inhaftierungsprogramm durch maßlose Ausweitung der Abschiebungshaft
- Erfindung eines „Notstands“ und mit dieser Begründung europarechtswidrig gemeinsame Unterbringung von Abschiebungsgefangenen mit Strafgefangenen.
- Kriminalisierung von gesellschaftlicher Solidarität durch Erklärung von Abschiebungsterminen zum „Dienstgeheimnis“, deren Weitergabe für Behördenmitarbeitende eine Straftat darstellen würde. Auch die Beihilfe zum Geheimnisverrat durch NGOs könnte darunter fallen.
- Bußgeld von bis zu 5.000 Euro bei Verletzung der Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung
- Ausweitung der Arbeitsverbote
- Verunsicherung des Status auch anerkannter Flüchtlinge durch Verlängerung der Widerrufsfristen
- Verhinderung von Integration und Selbstbestimmung anerkannter Schutzberechtigter durch Entfristung und Verschärfung der Regelungen zur Wohnsitzauflage
- Leistungskürzungen für alle AsylbLG-Berechtigten in Gemeinschaftsunterkünften um 10 Prozent
- Gesetzlich vorgeschriebene Ausschlüsse von Sozialleistungen für arbeitsuchende ausländische Fachkräfte,
- Streichung des Kindergelds für arbeitsuchende und nicht erwerbstätige Unionsbürgerinnen.
Die Mitteilung des Flüchtlingsrats und des GGUA Münster schließt mit den Worten: Es scheint, die SPD war vor über 100 Jahren schon mal weiter, denn ein Blick in die Geschichte zeigt uns, dass Karl Liebknecht bereits im Jahr 1907 in einer Rede beim SPD Parteitag in Essen forderte "die Abschaffung aller Beschränkungen, welche bestimmte Nationalitäten oder Rassen vom Aufenthalte im Lande und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen." Vielmehr müsse das Ziel sein die "völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in Bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!"
Wir stellen fest - so was kommt dabei raus, wenn die SPD nicht mehr auf ihre eigenen Genossen hört ...
Mehr dazu bei http://fluechtlingsrat-berlin.de/news_termine/06-06-2015-liste-der-grausamkeiten-was-ist-fuer-die-spd-ein-kompromiss
und http://fluechtlingsrat-berlin.de/recht_und_rat/asylg-2018/
Kommentar: RE: 20190609 Die nachträglichen Verschärfungen des "Migrationspakets"
Das sind solche Schweine... Mehr fällt mir dazu nicht ein.
Ca., 09.06.2019 11:35
Kommentar: RE: 20190609 Die nachträglichen Verschärfungen des "Migrationspakets"
Hatte die Bundesregierung nicht noch im Dezember letzten Jahres den UN-Migrations-Pakt und auch den UN-Flüchtlings-Pakt unterzeichnet? Der ist zwar nicht rechtsverbindlich. Er soll aber als Orientierung für den Umgang mit Migrant*innen und Füchtenden dienen. Der von der Bundesrgeirung jetzt beschlossene Migrationspakt ist mit den beiden UN-Pakten weitgehend unvereinbar. Das muss nun der SPD und auch der Bundesregierung insgesamt unter die Nase gehalten werden! Merkel hat sich doch international dafür feiern lassen, dass sie trotz des Drucks extrem rechter Parteien den UN-Migartionspakt unterzeichnet hat – Schulter an Schulder mit dem damaligen belgischen Premierminister Charles Michel, dessen Regierung über den UN-Migrationspakt zerbrach, weil die flämische N-VA die Regierung verließ. Damals strahlte Merkel an der Seite von Michel, weil sich beide dem Druck von rechts nicht gebeugt haben und sie somit wesentlich dazu beitrugen, den UN-Migartionspakt vor dem scheitern zu retten.
Kl., 09.06.2019 12:48
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Tags: #SPD #Kompromiss #Asyl #Flucht #Folter #Abschiebung #Migration #Frontex #Fluggastdatenbank #EuroDAC #Europol #Schengen #VisaWaiver #Verfolgung #KarlLiebknecht
Erstellt: 2019-06-09 09:10:52 Aufrufe: 947
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