12.05.2019 Heute vor 24 Jahren erschien die erste DigiTaz

24 Jahre digitaz - der Großvater erzählt

Zeitung lesen im Internet - was ist daran besonderes?
Ein Gespräch mit dem damaligen Projektleiter

Frage: Am 12. März 1989 hatte Tim Berners-Lee am Schweizer CERN die Grundlagen für eine Hypertext Markup Language (HTML) vorgeschlagen, mit der man Inhalte im Internet darstellen und verknüpfen könne. Seit 1992 war damit HTML (in einer ersten Version) definiert. Warum sind nicht sofort alle ins Internet?

Anwort: Das Internet war zu der Zeit nur in der Wissenschaft zu Hause - und natürlich beim Militär, denn vergessen wir nicht, dass die Grundlagen, das TCP/IP Protokoll, aus dem DARPAnet des US Militärs kam. Nur wenige Firmen hatten damals ihre lokalen IT-Anlagen mit anderen vernetzt. Diese Vernetzungen waren Punkt-zu-Punkt Verbindungen - sicher ein Vorteil für den Datenschutz (würde man heute sagen).

Auch wegen der langsamen Übertragungsraten von 1200 bis 2400 Bits/s war noch nicht allzu viel möglich. Doch gerade das Interesse der Telekom an Nutzern von (wenig vorhandener) Bandbreite führte zu einem Projekt zwischen Berliner Senat und Deutscher Telekom namens BERKOM (Berliner Kommunikationsnetz). Darin sollten Projekte realisiert werden, die aufzeigen, was man mit mehr Bandbreite, etwa über Glasfaserleitungen, anstellen könnte. Ein kleines Projekt darunter war auch die Idee eine Tageszeitung ins Internet zu bringen.

Frage: Warum hat die Telekom Geld in die Hand genommen, um ausgerechnet die taz zu unterstützen?

Anwort: Vielleicht lag der Grund für die Auswahl der noch jungen taz gerade in der Überschaubarkeit ihrer Redaktion und der Abläufe. Eine Verknüpfung von Büros in anderen Städten und Einbindung deren Inhalte hätte das Projekt eventuell überfordert. Auch bei der taz gab es 1995 nur einen langsamen Internetanschluss, so dass die Inhalte nicht von dort den Lesern angeboten werden konnten.

Deshalb war der Zugriff auf die Inhalte auch nicht wie heute üblich über https://taz.de möglich. Dazu war ein weiterer Projektpartner, das Infrastrukturprojekt an der TU-Berlin, notwendig. Dort gab es die von der Telekom gesponserte schnelle Netzanbindung und das Know-How zu Datenbanken und zum "neuen" HTML.

Frage: Was war zu dieser Zeit neu am Internet? Wo lag der Forschungsaspekt?

Anwort: Das Ziel des Projekts war ja nicht die Zeitung täglich einzuscannen und zum Runterladen bereit zu stellen, sondern es sollten die neuen Möglichkeiten der Vernetzung und Verlinkung von Inhalten gezeigt werden.

Hypermedia sollte als eine Weiterentwicklung von Hypertext erforscht und definiert werden. Hypertext ist eine Verallgemeinerung des traditionellen Dokumentenbegriffs. Hypertext-Dokumente unterscheiden sich von herkömmlichen linearen Dokumenten dadurch, daß ihnen eine Netzwerk-Struktur zugrunde liegt, in der beliebige Verbindungen (Links) zwischen den einzelnen Dokumentbestandteilen (Nodes) gezogen werden können - so die Idee im Projektvorschlag. Im Hypermedia sollten also Dokumente Graphiken, Animation, Bewegtbilder, Ton etc. eingebunden werden. (Noch nicht sehr) intelligente Suchfunktionen sollten es den Nutzern einfach machen in diesem Datenbestand zu suchen. Für die Wissenschaftler lag das Interesse auch noch in

Frage: ... und das alles konnten die Leserinnen und Leser der taz dann nutzen?

Anwort: Schön wär's. Nach einer Probephase mit ausgewählten Lesern im April 1995 war dann heute vor 24 Jahren der offizielle Startschuss in der gedruckten taz-Ausgabe mit dem kleinen Artikel auf der Titelseite (s.o.) und 3 weiteren Artikel auf den Folgeseiten.

Auf der zweiten Seite folgte erst einmal eine Anleitung "Wie komme ich ins Internet?" Dazu war ein Modem und eine Anmeldung bei der Telekom notwendig. Andere private Netzanbieter waren erst im Entstehen. Wegen des geringen Durchsatzes im Telefonnetz war das wirkliche Angebot für die Leserinnen und Leser pro Ausgabe am Anfang auf 600kB beschränkt.

600kB entsprechen ca. 60 Seiten reinem Text, bei Einbettung von Links sind es dann evtl. nur noch 30 Seiten. Das hat für den Inhalt gereicht, auf Bilder wurde erst einmal verzichtet bis auf den Tom-Cartoon und das Augenblicke-Foto. Durch die heute übliche Bilderdichte kommt man bei einer Webseite heute schnell auf mehr als 1-2MB.

Beim Probebetrieb in den letzten Tagen des April stieg die Zahl der Leserinnen der digiTaz schon auf über 3.000. obwohl die elektronische Adresse nur unter Freunden ausgetauscht wurde. In der Beschreibung heißt es abschließend:

"Daß es die taz nun auch im Internet gibt, ist in bester Hacker-Manier vor allem der freiwilligen Arbeit von EDV-Spezialisten am PRZ (Prozessrechenzentrum der TU Berlin) und bei der taz zu verdanken. Acht Wochen haben sie Software geschrieben und diverse Tücken umschifft, ..."

Frage: Was konnten die Leserinnen und Leser außer "lesen"?

Antwort: Um Inhalte anzusehen brauchte man neben dem Netzzugang einen HTML-Browser, das waren entweder "Mosaic" oder "Netscape". Damit konnte man die Inhalte ansehen:

"Ein Inhaltsverzeichnis erscheint, mit der Maus kann dann geblättert werden, oder aber man klickt einzelne Artikel mit der Maus an. ... Der Clou aber ist der „Hyper-text". Im grauen Fließtext der taz-Artikel sind einzelne Wörter wie zum Beispiel „Rudi-Dutschke-Haus" blau hervorgehoben. Wer den Begriff mit der Maus anklickt, erhält eine kurze Hintergrund-Information über Dutschke. Das ist ein erster Schritt.

Die Möglichkeiten des Internet werden erst mit 'Hyperlinks' richtig ausgeschöpft. Diese „Hyperverbindungen" (O Science-fiction-verliebte Cyber-Gemeinde und deine Begriffe!) schließen den Text direkt an eine Datenbank auf einem anderen Internet-Rechner an. Wer in einem Text über Bill Gates das Wort „Microsoft" anklickt, erhält so den aktuellen Umsatz des Computer-Unternehmens und die Aktienentwicklung der letzten Monate bis zum aktuellen Stand an der New York Stock Exchange - wenn jemand von der taz das richtige Hyperlink gezogen hat."

Außerdem stand eine Suchfunktion zur Verfügung und man konnte Kommentare/Leserbriefe schreiben. Dazu heißt es in der Anleitung:

"Die Benimmregeln für elektronische Diskussionen heißen "Netiquette". Sie sind einfach, aber wichtig und stehen in diversen Büchern über das Internet."

So waren theoretisch Fake-News und Hass-Botschaften aus dem Netz verbannt - wie wir heute wissen, nicht auf Dauer.

Frage: ... und das Ganze sponserte die Telekom?

Antwort: Geld gab es natürlich nur für die Forschung, Entwicklung und Einführung. Irgendwann musste das Web-Angebot auf eigenen Füßen stehen. Auch dieses Thema war Bestandteil des Projekts und auch gleich bei der Ankündigung in der Papierausgabe vom 12. Mai. auf Seite 3 hieß es unter der Überschrift "Rettet die Bäume":

„Endlich kann ich während der Arbeit die taz lesen -jederzeit wegklickbar! Umsonst! Wahnsinn!" Was auf den Leserbriefseiten der Papierausgabe Seltenheitswert hat, wird der taz bei einer Befragung im Internet zuteil: Begeisterung und Zustimmung. Insbesondere die Leserinnen von Neuseeland bis Texas goutieren die Möglichkeit, aktuell über Ereignisse in Deutschland informiert zu werden. Hierzulande sparen sich viele gern den Gang zum Kiosk. Immerhin jeder fünfte Bildschirmleser ist täglich dabei.

Als Nachteil wird jedoch empfunden, daß man die Computertaz nicht mit aufs Klo oder in die Kneipe nehmen kann. „Ein Ersatz für die gedruckte Ausgabe ist sie wohl kaum", meint einer - zu unromantisch und mit zu wenigen Bildern. Aber immerhin: So manchem Baum rettet die Bildschirm-taz das Leben, kontern andere. Die Zuwachsraten der Leserinnenschaft am Bildschirm sind enorm. Klickten am 1. April erst 16 Leute die Internet-taz an, so waren es Anfang Mai schon weit über tausend.

Wie soll sich das auf Dauer finanzieren?

Und am letzten Dienstag schmökerten 3.720 Menschen in dem papierlosen Blatt. „Als Sympathisant befürchte ich allerdings, daß Euch so einige Abonennten flöten gehen", warnt jemand. 48 Prozent geben an, sie würden sich ein digiTaz-Abonnement überlegen. Und 55 Prozent sind bereit, dafür zu zahlen.

Wieviel? Zwischen fünf Pfennig und 50Mark.

Aber nicht alle sind damit einverstanden, daß es die digitale taz demnächst vielleicht nicht mehr zum Nulltarif gibt. Das Internet soll so weit wie möglich frei von Kommerz bleiben, fordern mehrere. Und besonders Studentinnen verweisen auf ihr leeres Portemonnaie. Sie sind wohl auch überproportionale Nutzerinnen: 67% der Leserinnen kommen jedenfalls über einen Uni-Rechner ins Internet."

Frage: Was sagst du heute zu der Hoffnung auf das "antikommerzielle Netz"

Antwort: Es gibt zur Zeit  wohl nichts kommerzielleres als das Internet. In der sogenannten "Dot.com-Blase" am Anfang der Jahrtausends haben Internetunternehmen Milliarden eingesammelt und "vernichtet" - d.h. einige haben wohl gut davon gelebt. Über die völlig abgehobenen Marktwerte heutiger Internetkonzerne haben wir uns schon in dem Artikel "Überwachung durch Unternehmen" ausgelassen. Der angebliche "Wert" der Internetplattform UBER bei ihrem Börsengang vor wenigen Tagen von ca. 90 Milliarden $, also in der Größenordnung von Siemens, hat mit der Realität nichts mehr zu tun. Hier wird mit Milliarden auf die erfolgreiche Ausbeutung der vielen UBER Fahrer spekuliert.

Trotzdem gibt uns das Internet immer noch die Möglichkeit zu einem demokratischen Austausch, auch wenn dieser durch ständig neue Überwachungsgesetze, Upload-Filter, Behinderung der anonymen Nutzung immer mehr eingeschränkt wird. Es sind aber im Gegensatz zu 1995 nur noch kleine Inseln der Gleichberechtigung übrig geblieben. Wenn es der EU (und den Staaten) nicht gelingt die großen Internetkonzerne endlich zu besteuern und sie zu zwingen sich an hier geltende Gesetze zu halten, dann wird es schwierig. Und die Zivilgesellschaft muss ihr Interesse an einer freien und gleichberechtigten Nutzung des Netzes deutlich artikulieren und auch gegen Angriffe verteidigen.

Trotz dieser negativen Entwicklung war das Projekt Medien ins Internet zu holen ein richtiger und wichtiger Schritt, um Informationen und dann auch Diskussionen darüber weltweit zugänglich zu machen. 


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Erstellt: 2019-05-12 10:17:41
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