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13.05.2016 EU Generalanwalt jenseits des Datenschutzes?

EU-Generalanwalt gegen deutsches Verbot der Protokollierung des Surfverhaltens im Internet

Die EU Datenschutzgrundverordnung (EU-DS-GVO) wird im Gegensatz zur Richtlinie aus den 90-er Jahren bindendes Recht in allen EU Staaten sein. Trotzdem sollen höhere Datenschutzstandards in einzelnen Staaten erlaubt sein. Dies war eine Grundforderung der Netzgemeinde in Deutschland, um Absenkungen der bisherigen Standards zu verhindern.

Nun macht sich der Generalanwalt am EUGh in einem Fall daran deutsches Datenschutzrecht in Frage zu stellen bevor die EU-DS-GVO geltendes Recht wird.

Wir dokumentieren dazu die Pressemitteilung von Patrick Breyer, Piraten-Abgeordneter in Schleswig-Holstein und Kläger in dem Fall.

EU-Generalanwalt gegen deutsches Verbot der Protokollierung des Surfverhaltens im Internet

Der Bundestag darf Anbietern von Internetportalen nicht verbieten, flächendeckend auf Vorrat zu speichern, wer was im Internet liest, schreibt oder sucht. Die Entscheidung darüber obliege nach EU-Recht vielmehr den Gerichten, die eine Abwägung vorzunehmen hätten. Diese Meinung verkündete der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) heute bezüglich der Klage des Piratenpolitikers und Datenschützers Patrick Breyer gegen die Bundesregierung (Az. C-582/14).

Breyer: "Das ist ein Angriff auf das deutsche Datenschutzrecht und die digitalen Grundrechte. Die EU droht das klare deutsche Verbot einer Protokollierung unseres Surfverhaltens im Telemediengesetz auszuhebeln und die Verantwortung auf Einzelfallentscheidungen der Gerichte abzuschieben. Ich fordere die EU-Kommission auf, unverzüglich ein eindeutiges Verbot der anlasslosen Protokollierung unseres Surfverhaltens vorzulegen! Europa muss der NSA-Methode einer Totalerfassung des digitalen Lebens eine klare Absage erteilen und den Grundrechten auf Informations- und Meinungsfreiheit im Internet zur Geltung verhelfen."

Ob eine Speicherung von IP-Adressen durch Webseitenbetreiber zulässig ist, lässt der Generalanwalt offen. Zwar sei das Ziel, die Funktionsfähigkeit des Telemediums zu gewährleisten, grundsätzlich legitim. Deswegen anlasslos IP-Adressen zu speichern, sei aber nur gerechtfertigt, wenn dem Interesse des Anbieters "Vorrang gegenüber dem Interesse oder den Grundrechten der betroffenen Person zuerkannt worden ist" (Abs. 106). Zu der Art und Weise, wie diese Interessenabwägung ausfällt, ist nach Ansicht des Generalanwalts "nichts weiter zu sagen", weil der Bundesgerichtshof hierzu keine Frage vorgelegt habe (Abs. 103).

Breyer: "Die Entscheidung über diese Abwägung werden damit die deutschen Gerichte zu treffen haben. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung großen Wert darauf gelegt, dass nach dem Telemediengesetz die Internetnutzung nicht inhaltlich festgehalten und damit rekonstruierbar bleiben darf. Ein Gerichtsgutachten belegt, dass ein sicherer Betrieb von Internetportalen (Webservern) bei entsprechender Systemgestaltung auch ohne Vorratsspeicherung von IP-Adressen möglich ist.

Ich hoffe, der Gerichtshof wird anders entscheiden als der Generalanwalt und die unterschiedslose Erfassung des Inhalts unserer Internetnutzung als von vornherein völlig unverhältnismäßiges Mittel verwerfen. Sollte sich der Gerichtshof aber dem Generalanwalt anschließen und die Abwägung den deutschen Gerichten überlassen, werde ich gegen die Surfprotokollierung notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht ziehen.

Nur wenn Regierung und Internetkonzernen die Aufzeichnung unseres Surfverhaltens verboten wird, sind wir vor Ausspähung unseres Privatlebens, fälschlichen Abmahnungen und falschem Verdacht der Strafverfolger sicher. IP-Adressen haben sich als extrem fehleranfälliges und unzuverlässiges Mittel zur Personenidentifizierung erwiesen. Und solange wir uns schon wegen des Lesens von Internetseiten verdächtig machen können, gibt es keine echte Informations- und Meinungsfreiheit im Internet. Niemand hat das Recht, alles, was wir im Netz sagen, und alles, was wir tun, aufzuzeichnen. Als Generation Internet haben wir das Recht, uns im Netz ebenso unbeobachtet und unbefangen informieren zu können, wie es unsere Eltern aus Zeitung, Radio oder Büchern konnten."

Laut Generalanwalt unterliegen die beim Surfen übermittelten Kennungen der Internetnutzer (IP-Adressen) dem Datenschutz, solange der Internetprovider sie zuordnen kann. Nach dem umstrittenen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung soll dies künftig zehn Wochen lang der Fall sein. Die Bundesregierung hatte den Personenbezug von IP-Adressen bestritten.

Mit dem Urteil kann im Sommer gerechnet werden. Die Schlussanträge des Generalanwalts im Wortlaut: http://www.daten-speicherung.de/wp-content/uploads/Surfprotokollierung_2016-05-12_Generalanwalt.pdf

Ausführliche Informationen und die Gerichtsdokumente im Wortlaut: http://www.daten-speicherung.de/index.php/prozessdokumentation-meine-klage-gegen-die-vorratsspeicherung-unserer-internetnutzung/

Gerichtsgutachten zur Notwendigkeit einer Speicherung von IP-Adressen: http://www.daten-speicherung.de/wp-content/uploads/Surfprotokollierung_2011-07-29_Sachverst_an_LG.pdf

Untersuchung: Ministerien erfassen illegal unser Surfverhalten http://www.daten-speicherung.de/index.php/untersuchung-ministerien-erfassen-illegal-unser-surfverhalten/

Aufsatz über den "Personenbezug von IP-Adressen" http://www.daten-speicherung.de/wp-content/uploads/Breyer-Personenbezug-IP-Adressen.pdf

Web Tracking Report 2014 des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie: https://www.sit.fraunhofer.de/fileadmin/dokumente/studien_und_technical_reports/Web_Tracking_Report_2014.pdf


Das Verfahren hatte 2 Frage zu klären: Der BGH (BGH, Beschl. v. Beschl. v. 28.10.2014, Az. VI ZR 135/13 = CR 2015, 109 m. Anm. Schleipfer/Eckhardt = ITRB 2015, 55 (Rössel) = ZD 2015, 80 m. Anm. Bergt; hierzu auch Bergt, CRonline Blog v. 28.10.2014) wollte vom EuGH (Rs. C-582/14) wissen:

  • Einmal die Frage, ob Daten (konkret: IP-Adressen) personenbezogen sind, wenn zwar nicht die speichernde Stelle, aber ein Dritter (konkret der Access-Provider) den Personenbezug herstellen kann – also die Grundfrage des Datenschutzrechts, wann ein Datum Personenbezug hat (hierzu mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes Bergt, ZD 2015, 365).
  • Die Frage, ob es europarechtskonform ist, dass § 15 Abs. 1 TMG die Verwendung personenbezogener Daten über die Nutzung von Telemedien wie WWW-Seiten ausschließlich zu dem Zweck erlaubt, die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen.

Die Frage 1 bejaht auch der Generalanwalt (Rn. 57, 74), wenn er sich auch ausdrücklich davor verwahrt, die Frage des Personenbezugs von Daten allgemein zu beantworten (Rn. 46 ff., 61 f.).

Mehr dazu auch "Generalanwalt plädiert für ein Ende jeder Rechtssicherheit im Datenschutzrecht" http://www.cr-online.de/blog/2016/05/12/generalanwalt-plaediert-fuer-ein-ende-jeder-rechtssicherheit-im-datenschutzrecht/


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Erstellt: 2016-05-13 06:56:02
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