Uneinigkeit bei Koblenzer Staatsanwälten zulasten eines Atomwaffenkritikers
Darf man Soldaten auffordern über die Modernisierung der Atomwaffen in Büchel, also auf deutschem Boden, zu berichten - oder ist das Wehrkraftzersetzung oder eine Aufforderung den Soldateneid zu brechen?
Das Grundrechtekommitee berichtet über den eigentlich kuriosen Fall:
Die strafrechtliche Bewertung eines atomwaffenkritischen Flugblattes führt zu Chaos innerhalb der Staatsanwaltschaft Koblenz: Ein Oberstaatsanwalt verneint einen Anfangsverdacht bezüglich eines atomaffenkritischen
Flugblattes, zwei Staatsanwälte aber erheben Anklage.
Der Heidelberger Atomwaffengegner und Mitglied des Grundrechtekomitees,
Hermann Theisen, fordert seit zwei Jahren immer wieder die
Bundeswehrsoldaten des Atomwaffenstützpunkts Büchel (Rheinland-Pfalz) dazu
auf, die Öffentlichkeit über die Hintergründe der geplanten
Atomwaffenmodernisierung zu informieren, die er als völkerrechts- und
grundgesetzwidrig erachtet. Hierfür entwarf er drei verschiedene
Flugblätter, deren Aufforderungscharakter jeweils nahezu identisch war.
Bei der Staatsanwaltschaft Koblenz führte dies zu strafrechtlichen
Ermittlungen von zwei Staatsanwälten und einem Oberstaatsanwalt, die sich im
Ergebnis völlig widersprechen. Nach gegensätzlichen Entscheidungen steht nun
wieder eine Verhandlung im Februar 2016 an.
Staatsanwalt Dumstrey klagte den Atomwaffengegner im Januar 2015 wegen
Aufforderung zum Geheimnisverrat an: „Durch die Verteilung des Flugblattes
wollte der Angeschuldigte eine möglichst große Anzahl von Bediensteten der
Bundeswehr dazu bringen, Tatsachen, die diesen in Ausübung ihrer Tätigkeit
anvertraut worden sind und deren Kenntnis nicht über einen begrenzten
Personenkreis hinausgeht und die geheimhaltungsbedürftig sind, öffentlich zu
machen" (§ 111 StGB, § 353b StGB). Daraufhin wurde Theisen im September 2015
vom Amtsgericht Cochem zu einer Geldstrafe von 2.400 Euro verurteilt (2090
Js 45215/14).
Der Abteilungsleiter von Staatsanwalt Dumstrey, Oberstaatsanwalt Schmengler,
kam hingegen im Sommer 2015 zu einer ganz anderen strafrechtlichen
Bewertung: „Nach dem vorgetragenen Sachverhalt ist kein Anfangsverdacht für
ein strafbares Verhalten gegeben (§ 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung).
Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne dieser gesetzlichen
Vorschrift dürfen nur angenommen werden, wenn nach kriminalistischer
Erfahrung Anzeichen vorliegen, die es als möglich erscheinen lassen, dass
eine strafbare Handlung begangen wurde. Diese Voraussetzung ist nicht
erfüllt“ (2090 Js 53680/15).
Im Januar 2016 kam es dann zu einem Zuständigkeitswechsel innerhalb der
Staatsanwaltschaft Koblenz und die nun zuständige Staatsanwältin Lehmler
klagte Theisen erneut an: „Durch die Verteilung und Versendung des
Flublattes wollte der Angeschuldigte eine möglichst große Anzahl von
Bediensteten der Bundewehr dazu bringen, Tatsachen, die diesen in Ausübung
ihrer Tätigkeit anvertraut worden sind und deren Kenntnis nicht über einen
begrenzten Personenkreis hinausgeht und die geheimhaltungsbedürftig sind,
öffentlich zu machen“ (2010 Js 13035/15). Das Amtsgericht Cochem hat diese
Anklage inzwischen zugelassen und für den 29.02.2016 zur Hauptverhandlung
geladen. Im Zusammenhang mit dieser Anklage wurden auch an Kommunalpolitiker
gerichtete Briefe des Atomwaffengegners von der Staatsanwaltschaft Koblenz
beschlagnahmt und geöffnet. Auch diese Verletzung des Briefgeheimnisses
(Art. 10 GG) ist ein ungeheuerlicher staatlicher Eingriff.
Staatsanwältin Lehmler teilte auf den Hinweis, dass Oberstaatsanwalt
Schmengler einen Anfangsverdacht verneint hat, mit: „Das Verfahren 2090 Js
53680/15 wurde nicht von mir bearbeitet. Die dortige Entscheidung bindet
mich nicht.“ Theisen empfindet das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Koblenz
als Justizwillkür: „Wenn sich ein Oberstaatsanwalt und zwei Staatsanwälte
ein und derselben Staatsanwaltschaft bei der strafrechtlichen Bewertung
eines atomwaffenkritischen Flugblattes vollkommen widersprechen, so ist das
einfach nur kafkaesk. Es wird Zeit, dass hier die juristische Notbremse
gezogen wird.“ Elke Steven (Grundrechtekomitee) stellt angesichts der vielen
Prozesse, die oft erst in den höheren Instanzen dem Atomwaffenkritiker recht
geben, fest, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit Krieg und seiner
Vorbereitung – zumal der nuklearen Aufrüstung – wohl verhindert werden soll.
„Die Wahrheit stirbt zuerst, nicht erst im Krieg, sondern auch im Vorkrieg.“
Mehr dazu bei http://www.grundrechtekomitee.de/node/738
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Erstellt: 2016-01-29 11:41:42 Aufrufe: 1707
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