Verfassungsschutz an Schulen? Über die Bildungsarbeit des Inlandsgeheimdienstes
Heute Abend fand bei der Humanistischen Union (HU) im Haus der Demokratie und Menschenrechte die Veranstaltung "Verfassungsschutz in Schulen" statt. Die Humanistische Union beschäftigt sich seit einiger Zeit im Rahmen der Kampagne "ausgeschnüffelt" mit den Tätigkeiten des Verfassungsschutzes. Ein Teil dieser Kampagne ist die kritische Beleuchtung der Arbeit des Verfassungsschutzes in Schulen.
Verfassungsschutz an Schulen? Was hat eine Geheimdienstbehörde an Schulen zu suchen?
Im Jahre 1990 erschien ein Papier des Verfassungsschutzes über eine "dialogorientierte Öffentlichkeitsarbeit" und im Dezember 2012 wurde erstmals das Verfassungsschutzprofil um die "Aufklärung der Öffentlichkeit" erweitert (LT-SA 6/2996). Dies geschah kurz nachdem der NSU-Skanal in der Öffentlichkeit bekannt geworden war. Dem Verfassungsschutz ging es darum Vertrauen zurückzugewinnen.
So finden seitdem Ausstellungen, Besuche in Schulen und das Versenden von Materialien, zum Beispiel dem jugendlich-aufgemotzten Andi-Comic in einer Auflage von über 100.000 Stück statt. In Brandenburg fährt der Verfassungsschutz sogar mit einem eigenen Info-Mobil durch die Gegend und "informiert".
Auf eine parlamentarische Anfrage der Linken wurde geantwortet, dass in der Zeit von 2012 bis 2014 über 120 Schulen in 8 Bundesländern vom Verfassungsschutz besucht wurden. Für die anderenBundesländer gibt es scheinbar keine Zahlen. Auch in den erhaltenen Antworten wurden teilweise die Namen der besuchten Schulen nicht angegeben, natürlich nur aus Datenschutzgründen.
Die Frage ist natürlich nun, was tut der Geheimdienst in diesem Unterricht?
Nach seiner eigenen Darstellung ist er tätig, um Jugendliche über die Gefahren des Extremismus aufzuklären. Dazu benutzt er ein Extremismus-Modell, welches nur in Deutschland bekannt ist. Das sogenannte Hufeisenmodell stellt die Aufteilung der Gesellschaft als gute Mitte und gefährliche Links- und Rechts-Extremisten dar. In keinem anderen Land der Welt wird diese unwissenschaftliche These in der Extremismusforschung genutzt.
Immerhin stellt der Verfassungsschutz in seiner Selbstdarstellung fest, dass seine "Beteiligung am schulischen Unterricht keine Maßnahme der schulischen Bildung" ist. Eine Ausnahme stellt der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt dar: dort behauptet er Bildung verbreiten zu können.
Was ist daran zu kritisieren?
Lehrer gestalten ihren Unterricht gemäß dem Beutelsbacher Konsens. Dies bedeutet, dass sie den Jugendlichen stets ein ausgewogenes Bild bei Problemen darstellen müssen. Sie sollen stets mehrere Alternativen und Möglichkeiten im Unterricht darstellen. Dies wird vom Verfassungsschutz schon wegen seines unwissenschaftlichen Ansatzes nicht eingehalten und ist wohl auch nicht beabsichtigt.
Diskussion
Nach dieser Beschreibung des Ist-Zustandes durch Heiko Stamer von der HU, entspann sich zuerst eine Diskussion im Podium, in dem vertreten waren:
- Werner Koep-Kerstin von der Humanistischen Union,
- Niklas Schrader von den Linken,
- die Wissenschaftlerin Astrid Bötticher,
- Barbara Maijd-Amin vom Bündnis Schule ohne Militär und
- Jasper von der Berliner Landesschülervertretung
Auch die anwesenden Besucher, darunter auch von den überwachungskritischen NGOs #wastun, Bündnis gegen Überwachung und Aktion-Freiheit statt Angst wurden schnell in diese Diskussion miteinbezogen.
Alle Diskutierenden waren sich einig, dass eine Behörde wie der Verfassungsschutz keine Berechtigung hat Unterricht zu gestalten. Die Vertreterin des Bündnis Schulen ohne Militär zeigte Paralellen und Unterschiede zum Einsatz von Bundeswehrsoldaten bei der Unterrichtgestaltung auf. Der einzige aber auch gravierende Unterschied besteht hier darin, dass die Bundeswehr wegen ihres Personalbedarfs auch noch ein starkes Werbemotiv bei ihrem Auftreten hat.
Die Humanistische Union verwies auf ihr Memorandum zum Verfassungsschutz, welches sie dem Verfassungsschutzpräsidenten Maßen übergeben hatte. Darin wurde eindeutig festgestellt, dass der Verfassungsschutz, auch wegen seiner andauernden Skandale, keine Legitimität für seine Arbeit in der Gesellschaft findet.
Die Wissenschaftlerin verwies auf die einseitig und unwissenschaftliche Extremismusdefinition, die so nur in Deutschland existiert oder verwendet wird und betonte deren Gegensatz zum Art. 5 Grundgesetz (Meinungsfreiheit). Die UNO verwendet bereits seit Jahrzehnten eine viel breitere Definition, die auch islamophoben, antisemitischen Extremismus oder Extremismus aus ethischen Vorbehalten beinhaltet.
Der Vertreter der Linken versprach auch weiterhin im Abgeordnetenhaus dem Verfassungsschutz auf die Finger zu sehen und mit parlamentarischen Anfragen für Aufklärung über deren Tun zu sorgen.
In der Diskussion wurden dafür eine Reihe von Beispielen genannt:
- so wird in einigen Verfassungsschutzpapieren bereits die Forderung nach "direkter Demokratie" (Volkbegehren) als Extremismus definiert,
- die unsägliche Folgerung aus dem Hufeisen-Modell führt stets zu einem völlig unwissenschaftlichen Rechts = Links,
- im Verfassungsschutzbericht fehlt seit Jahren eine Betrachtung der Islamophobie in der Gesellschaft, obwohl sogar der UN-Generalsekretär bereits im Jahre 2000 auf diese Gefahr für die Gesellschaften weltweit hinwies,
- Schüler berichteten, dass sie im Verlauf von Verfassungsschutzbesuchen in der Schule aber auch nach eigenen Aktionen zur demokratischen Willensbildung von "Menschen" angesprochen wurden, die sich als Zivilpolizisten, Verfassungsschutz oder LKA Ausgaben, um sie auszuhorchen oder zu einer Mitarbeit zu gewinnen.
Alle Anwesenden waren sich weitgehend einig, dass die Verfassungsschutzbehörden aus ihren Skandalen im Rahmen der NSU-Morde nichts gelernt haben. Allein das Bundesland Thüringen hat nach dem Regierungswechsel durch den Abzug von V-Leuten und der Beendigung von Aktivitäten in Schulen wirklich etwas verändert.
Die Kampagne "ausgeschnüffelt" der HU wird weiter fortgeführt.
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Erstellt: 2015-10-22 21:45:44 Aufrufe: 2611
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