31.01.2015 "Gesundheitskarte mit Gewalt durchsetzen"

„Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im
Gesundheitswesen“

Als Mitglied im Komitee für Grundrechte und Demokratie  dokumentieren wir hier die Erklärung zum "Gesundheitskartengesetz".

Mit Anreizen und Sanktionsmechanismen gegen die Interessen der Versicherten

 

Der Referentenentwurf vom 13. Januar 2015 aus dem Bundesministerium für
Gesundheit macht vor allem deutlich, dass nun mit Anreizregelungen und
Sanktionsmechanismen der Ausbau der Telematikinfrastruktur vorangetrieben
werden soll. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hatte schon am 13.
Januar 2015 für die FAZ formuliert: „Es ist falsch, dass es nicht genug
Datenschutz gebe. Das Gegenteil ist der Fall.“

Zwei Zielsetzungen verfolgt das Gesetz. (1) Die Einführung der
elektronischen Gesundheitskarte (eGK) soll beschleunigt, Bedenken und
Gegenargumente sollen vor allem mit Geld vom Tisch gewischt werden. (2) Eine
Telematikinfrastruktur soll ausgebaut werden, die die Kommunikation aller am
Gesundheitssystem Beteiligten gestattet und auch unabhängig von der eGK
genutzt werden kann. Die Kommunikation untereinander soll als offenes System
angelegt sein, also auch ohne die datenschutzrechtlichen Behinderungen durch
die gesetzlichen Regelungen zur eGK nutzbar sein.  Deutlich wird vor allem
eines: Die Weiterentwicklung wird weitere zusätzliche Millionen Euro Kosten
verursachen. Ein Nutzen wird nicht dargelegt, nur vorausgesetzt. „Es handelt
sich aber um Investitionen in eine Infrastruktur,  die eine schnelle,
sektorübergreifende und vor allem sichere Kommunikation im Gesundheitswesen
unterstützen und die damit die Voraussetzungen für mehr Qualität in der
Patientenversorgung schaffen soll.“  Der Nutzen der Zentralisierung und
Kontrollierbarkeit soll sich von alleine verstehen.

Der Gesetzentwurf zeigt, dass der Protest gegen die mit der eGK verfolgte
Neuordnung des Gesundheitssystems richtig bleibt. Die Kontrolle von Ärzten
und Patienten soll vorangetrieben, das Gesundheitssystem neoliberalen
marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfen werden.

Elektronische Gesundheitskarte

Die eGK soll nun endlich in die Gänge kommen, wenn auch mit langen Fristen.
Dies soll vor allem mit Drohungen erreicht werden, manches mit befristeten
Anreizen schmackhaft gemacht werden.  Der Druck auf die Versicherten, das
Foto abzugeben, ist bereits in den letzten Wochen massiv verstärkt worden.
Das Ersatzverfahren wurde eingeschränkt und wird für die, die kein Foto
einreichen, fast unmöglich gemacht. Häufig werden nur noch Nachweise des
Versichertenstatus für einen konkreten Arztbesuch ausgegeben. Selbst das
wird manchmal versucht zu versagen. Der Versicherte kann sich erst recht
nicht darauf verlassen, dass er langfristig Medikamente verschrieben bekommt
oder zu Fachärzten überwiesen wird. Im neuen Gesetz wird nun geregelt, dass
Gebühren für das Ausstellen von Ersatzbescheinigungen durch die
Krankenkassen (S. 29) erhoben werden, wenn „die Karte aus vom Versicherten
verschuldeten Gründen nicht ausgestellt werden kann“. (§ 15)

Da das Versichertenstammdatenmanagement – also der Abgleich der auf der eGK
gespeicherten Stammdaten mit denen bei der Krankenkasse gespeicherten durch
die Arztpraxis – die technische Voraussetzung für medizinische Anwendungen
(!) (S. 24) schafft, werden verbindliche Fristen zur Einführung vorgesehen.
Bis zum 30. Juni 2016 hat die Gematik die Voraussetzungen zu schaffen,
anderenfalls werden bis zur Fertigstellung monetäre Kürzungen vorgenommen.
Arztpraxen, die der Prüfungspflicht, also dem online-Datenabgleich, ab dem
1. Juli 2018 nicht nachkommen, wird die Vergütung vertragsärztlicher
Leistungen pauschal um ein Prozent gekürzt.

Bis zum 31. Dezember 2017 hat die Gesellschaft für Telematik dafür zu
sorgen, dass die Speicherung der Notfalldaten mithilfe der eGK funktioniert.
Anderenfalls drohen monetäre Einschränkungen.  Ärzte, die ab dem 1. Januar
2018 Notfalldaten der Patienten speichern, erhalten nutzungsbezogene
Zuschläge, über die sich die Vertragspartner zu einigen haben.

Der elektronische Arztbrief soll in den Jahren 2016 und 2017 durch eine
Pauschale von 55 Cent pro Übermittlung unterstützt werden. Die Übermittlung
soll durch „sichere elektronische Verfahren“ erfolgen. Die eGK soll dabei
wohl nicht genutzt werden. Offen bleibt, ob und wie sichergestellt werden
soll, dass die Patienten vor der Absendung ihr Einverständnis gegeben haben.
Die Gefahr besteht, dass die bisherige Regelung zwar nicht direkt
aufgehoben, aber praktisch ausgehebelt werden soll.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der Spitzenverband Bund der
Krankenkasse und die Gematik haben sich über eine Richtlinie zu einigen.
Diese wird immerhin auch der Bundesdatenschutzbeauftragten vorgelegt, so
dass diese Stellung nehmen kann.

Telematikinfrastruktur

Ein Kommunikationsnetz soll aufgebaut und auch unabhängig von der eGK
genutzt werden können. Die Telematikinfrastruktur soll die „maßgebliche
Infrastruktur für das deutsche Gesundheitswesen“ werden.

Ein veröffentlichtes Interoperabilitätsverzeichnis soll dazu führen, dass es
keine „Insellösungen“ mehr gibt, sondern alle technischen Entwicklungen in
die Telematikinfrastruktur integriert werden können. So können auch private
Anbieter Komponenten und Dienste entwickeln. Die Gematik muss solche
Angebote zulassen, wenn sie funktionsfähig, interoperabel und sicher sind.
Darüber hinaus soll „den einzelnen Sektoren die Befugnis gegeben werden,
offene Schnittstellen zu definieren, mit denen es den jeweiligen
Leistungserbringern erleichtert werden soll, Patientendaten zu archivieren
und in andere Systeme zu übertragen.“  Der Austausch von Gesundheitsdaten –
auch mit nicht-ärztlichen Leistungserbringern – soll so gestärkt werden.
Auch informationstechnische Systeme zur Unterstützung von Forschungs- und
Entwicklungsprojekten sollen angeboten werden können. Ein Bezug zum
Biobankenprojekt „Nationale Kohorte“ liegt hier nahe. Forscher würden  gerne
einfacher auf Gesundheitsdaten zurückgreifen können. Die bisherige Regelung,
wonach in der Telematikinfrastruktur der eGK gespeicherte Gesundheitsdaten
ausschließlich zum Zweck der Versorgung der Patienten genutzt werden dürfen,
würde durch die Hintertür abgeschafft. Hinzu kommt, dass Forschungs- und
Entwicklungsprojekte lediglich als Beispiele  genannt werden. Wer weiß,
woran sonst noch alles gedacht ist - etwa auch an kommerzielle Nutzer wie
etwa die Pharmaindustrie?

Technische Verfahren zur konsiliarischen Befundbeurteilung sollen
langfristig entwickelt werden.  Insbesondere angesichts der Unterversorgung
in strukturschwachen Gebieten sei eine Stärkung der Kommunikation der Ärzte
untereinander notwendig. Statt Anreize für Ärzte zu schaffen, sich auf dem
Land niederzulassen, wird auf technische Lösungen gesetzt, die den Patienten
den Arzt vorenthalten. Die Frage des Datenschutzes bleibt auf der Ebene des
Gesetzes wiederum ausgespart. Hier wird auch deutlich, dass die Metadaten,
die anfallen werden, auf eigene Weise ausgewertet werden könnten.

Neue Verbindungen und Nutzungsmöglichkeiten

(1) Für Patienten gibt es auch neue Rechte. Man fragt sich nur, warum diese
per Gesetz geregelt werden müssen. Patienten, die fünf Medikamente verordnet
bekommen, haben ab 1. Oktober 2016 einen „Anspruch“ auf einen
Medikationsplan auf Papier. Würden sich Ärzte derzeit wirklich weigern,
Patienten einen solchen Nachweis auszustellen? Wahrscheinlich nicht, aber
dahinter verbirgt sich mehr.  Dieser Medikationsplan soll nach einheitlichem
Muster erstellt werden. Noch weiter dahinter verbirgt sich, dass dieser Plan
„zur besseren Aktualisierbarkeit“ zusätzlich elektronisch gespeichert werden
soll. Sobald die Telematikinfrastruktur zur Verfügung steht, kann die eGK
die Erstellung und Speicherung erleichtern. Dann hätten alle Ärzte
potentiell Zugriff darauf. Sie könnten – so wird im Referentenentwurf
formuliert – die vorhandenen Daten dann in ihre lokalen Verwaltungssysteme
übernehmen – also aus der zentralen Datenspeicherung übernehmen. Die Nutzung
der eGK für dieses System soll für die Versicherten (noch) freiwillig sein.
Allerdings können die Versicherten sich und den Ärzten das Procedere
erleichtern, indem sie zum einen die eGK zur Speicherung der Daten nutzen
und des weiteren auf eine technische Zugriffsautorisierung verzichten. Dann
reicht der Heilberufsausweis zum Zugriff auf die Medikamentendaten des
Patienten. Und schon ist eines der Datenschutzrechte zur eGK ausgehebelt –
aber selbstverständlich rein freiwillig. Es sollte keiner glauben,
Medikamentendaten seien unwichtige Daten, die es nicht zu schützen gelte.
Daraus wird der Gesundheitszustand des Patienten detailliert abzuleiten
sein. Zudem könnte diese Regelung künftig als Vorbild dafür dienen, dass
Patienten aufgefordert werden können, ihre elektronische Patientenakte
generell für Zugriffe freizuschalten. Damit aber würde ein zentraler
Bestandteil des Datenschutzes zur Disposition gestellt.

(2) Der Elektronische Entlassbrief stellt den Einstieg in den elektronischen
Arztbrief dar. Krankenhäuser erhalten einen monetären Anreiz, Entlassbriefe
elektronisch zu erstellen. Ärzte erhalten ebenfalls monitäre Anreize, diese
entsprechend einzulesen.  Zeitlich befristet ist diese Anreizregelung vom 1.
Juli 2016 bis zum 30. Juni 2018.  Nun ist die Förderung der elektronischen
Kommunikation im Gesundheitssystem sicherlich sinnvoll. Die Frage bleibt
aber, auf welchen Medien und mit welchen Sicherheiten Gesundheitsdaten
gespeichert werden. Es ist nur die Rede davon, dass die Daten „durch
geeignete technische Maßnahmen“ und „entsprechend dem aktuellen Stand der
Technik“ geschützt werden sollen. Bisher soll der Patient selbst entscheiden
können, ob er den Brief elektronisch ausgehändigt bekommt, oder ob dieser
auch elektronisch an den Arzt übermittelt wird. Die eGK könnte dies wiederum
erleichtern. Das aber ist noch nicht weitergehend geregelt.

(3) Eine Schlichtungsstelle wird bei der Gematik eingerichtet (§291c). Das
Bundesministerium für Gesundheit will den Druck erhöhen, sich trotz
divergierender Interessen zu einigen. Gelingt dies nach Fristsetzung durch
das Bundesministerium für Gesundheit nicht, benennt das Ministerium den
Vorsitzenden.

Dr. Elke Steven (Referentin im Grundrechtekomitee, AG Gesundheit)
http://www.grundrechtekomitee.de/node/675


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Kommentar: RE: 20150131 "Gesundheitskarte mit Gewalt durchsetzen"

Die Datensammelei hat längst begonnen und damit lässt sich auch jetzt schon Geld verdienen. So berechnet etwa der Hamburger Scoring-Anbieter Kreditech unsere Kreditwürdigkeit auf Basis von Standortdaten und Social-Media-Profilen. Der Lebensversicherer Aviva entwickelt Modelle, die anhand unseres Konsumverhaltens, Lebensstils und Einkommens vorhersagen, wer möglicherweise an Diabetes, Bluthochdruck oder Depression erkrankt und deshalb höhere Beiträge zahlen muss. (s. http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-05/ttip-datenschutz  ) ... und wir sollen solche Daten jetzt auf dem Silbertablett mit der eGK liefern?

Wilfried, 27.06.2015 10:23


 


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Erstellt: 2015-01-31 11:56:22
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