Werner Rügemer und die Neue Rheinische Zeitung vor Gericht
Wie viel sind uns Informationsfreiheit und Transparenz wert?
Wir dokumentieren hier den Bericht von Ulrike von Wiesenau über einen Prozess zur Pressefreiheit in Deutschland. Wie viel darf man über Lobbyismus in Politik und Wirtschaft sagen bevor einen die juristische Keule trifft?
Mit einem Vergleichsvorschlag endete am 9.4.2014 die Verhandlung vor der Pressekammer des Hamburger Landgerichts zur Klage von IZA-Direktor Prof. Klaus Zimmermann gegen den Publizisten Dr. Werner Rügemer und die Neue Rheinische Zeitung (NRhZ). In dem Vorschlag wird die Klage in zwei von drei Punkten abgewiesen. Beide Seiten müssen bis zum 6. Juni erklären, ob sie den Vergleich annehmen.
Rügemer hatte im August 2013 in der Monatszeitschrift »Blätter für deutsche und internationale Politik« und in der "Neuen Rheinischen Zeitung" den Beitrag »Die unterwanderte Demokratie. Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen« veröffentlicht und das »Institut zur Zukunft der Arbeit« (IZA) als Beispiel für eine Form des unsichtbaren Lobbyismus bezeichnet. Das IZA ist ein privates Forschungsinstitut, das der Universität Bonn angegliedert ist, aber komplett aus Drittmitteln finanziert wird, die zum größten Teil von der Deutschen Post-Stiftung stammen. Es wird geleitet von Prof. Klaus Zimmermann.
Eine zentrale Frage in der Verhandlung war, wie unabhängig das Institut zur Zukunft der Arbeit ist und ob dort "freie Wissenschaft" oder "Lobbying unter staatlichem Siegel" betrieben wird. Rügemer hatte in den "Blättern" eine neue Form des Lobbyismus kritisiert, bei der die Lobbyisten "längst im Staat" säßen und vielfach von diesem finanziert würden. Er benannte hierzu u.a. das »Institut zur Zukunft der Arbeit« (IZA) als Beispiel. Für Rügemer ist damit klar, dass das Institut nicht so unabhängig sein kann, wie es sich selbst darstellt. Auch aufgrund der engen Zusammenarbeit mit Vertretern des Bundesverband der Deutschen Industrie und der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sei die Unabhängigkeit des IZA in Frage gestellt, von einer "freien Wissenschaft" könne bei dem Institut deshalb keine Rede sein.
Im September 2013 hatte Klaus Zimmermann mit einer einstweiligen Verfügung über Anwälte den Verlag der »Blätter« und die Neue Rheinische Zeitung aufgefordert, diverse Aussagen aus dem Artikel zu unterlassen. Die "Blätter" gingen angesichts der ökonomischen Bedrohung einer gerichtlichen Auseinandersetzung aus dem Weg und entfernten die inkriminierten Passagen über das IZA aus dem Artikel. Peter Kleinert, Herausgeber der Neuen Rheinischen Zeitung, hielt die vollständige Publikation des Textes aufrecht. Daraufhin beantragte Zimmermann im Januar 2014 beim Landgericht Hamburg, die Wiederholung der Aussagen durch Urteil zu verbieten und im Falle jeder einzelnen Wiederholung den Autor und die Zeitung zu einem Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder einer Ordnungshaft zu verurteilen. Der auf 120000 Euro bezifferte Streitwert konnte nach einer Intervention von Rügemers Anwalt Eberhard Reinecke im Vorfeld des Prozesses auf 80000 Euro reduziert werden.
Gleich zu Beginn der Verhandlung hatte die vorsitzende Richterin deutlich gemacht, dass das Gericht "einige Schwierigkeiten" mit der Klage habe, da es sich bei drei der vier inkriminierten Passagen nicht um die Behauptung falscher Tatsachen, sondern um eine zulässige Meinungsäußerung handle. Der Anwalt des IZA von der Bonner Kanzlei Redeker Sellner Dahs, die Mandanten wie Kohl, Schröder und Merkel vertritt, zitierte immer wieder das Selbstverständnis des IZA, keine Lobby-Organisation zu sein, aber das Gericht machte sich eine erweiterte Definition von Lobbyismus zu eigen und sah Äußerungen in diesem Rahmen durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.
Die Klage gegen Werner Rügemer und die NRhZ wurde in weiten Teilen abgewiesen. Nur in einem Punkt wurde sie anerkannt: dass in dem Artikel nicht klar gesagt werde, dass das IZA auf seiner Website offen über seine Finanzierung durch die Deutsche Post-Stiftung informiere. Dem Antrag, auch die restlichen drei Aussagen (das IZA sei "nicht unabhängig", seine Wissenschaft sei "nicht frei" und es "betreibe Lobbying") zu verbieten, wurde aber nicht stattgegeben. Als Vergleichsvorschlag wurde vom Gericht angeregt, Werner Rügemer solle an
seine Aussagen zur "freien Wissenschaft" eine Passage anfügen, die klarstellt, dass das IZA von seinen Spendern keine Ergebnis-Vorgaben erhalte (was der Autor auch gar nicht behauptet hatte sondern in dem Artikel lediglich darstellte, dass neue Formen des unsichtbaren, nicht direkt beauftragten Lobbying heute immer verbreiteter sind). Zum Vergleichsvorschlag gehört noch, dass die Verfahrenskosten zu zwei Dritteln vom Kläger IZA/Zimmermann und zu einem Drittel von Werner Rügemer und NRhZ-Herausgeber Peter Kleinert zu tragen sind. Einen schriftliche Fassung der gerichtlichen Entscheidung wird nächste Woche an die Beteiligten gehen, beide Seiten haben bis zum 6. Juni Zeit zu erklären, ob sie den Vergleich annehmen.
Das Urteil bleibt unbefriedigend, da die Argumentation des Gerichtes inkonsequent erscheint. Es wäre schlüssig gewesen, die Klage abzuweisen, weil von Werner Rügemer keine falschen Tatsachenbehauptungen aufgestellt wurden, sondern lediglich Meinungsäußerungen, die wiederum aufgrund der erweiterten Lobbyismus-Definition des Gerichts im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind.
Der Prozess gerät zum Musterfall des Einschüchterungsversuchs eines kritischen Autors, der sich als Stimme der Zivilgesellschaft zur Unterwanderung der Demokratie durch Lobbyismus äussert. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit muss in diesem Fall mit aller Macht verteidigt werden!
Kontakt: Ulrike von Wiesenau
Quelle: https://www.attac-berlin.de
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Erstellt: 2014-05-12 06:49:02 Aufrufe: 2030
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