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27.10.2011:Die elektronische Gesundheitskarte jetzt stoppen!Zu dem am Dienstag von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag eingebrachten Antrag "Moratorium für die elektronische Gesundheitskarte" erklärt Kathrin Vogler, stellvertretende Vorsitzende im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages:
"Die FDP verrät die Interessen von Patienten für die Profitinteressen der IT-Industrie. Daniel Bahr muss auch als Gesundheitsminister zu seiner Kritik an der e-Card stehen. Leider will Herr Bahr davon als Minister nichts mehr wissen. Dabei sind seine Kritikpunkte von 2009 weiterhin gültig: Keine der aufgeworfenen Zweifel an dem Konzept ist beantwortet worden. Insbesondere ist eine Überprüfung durch unabhängige Sachverständige nicht erfolgt."
Bahr forderte damals zu Recht: 'Deswegen darf hier nicht mit Druck an der Umsetzung gearbeitet werden. Wir sollten uns vielmehr so viel Zeit für die Umsetzung lassen, bis alle offenen Fragen geklärt sind.' (http://www.daniel-bahr.de/Reden-Vortraege/20610c2i/index.html)
Kathrin Vogler weiter: "Darum hat die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag heute einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der inhaltsgleich mit dem Antrag der FDP (Drucksache 16/11245) http://dserver.bundestag.btg/btd/16/112/1611245.pdf von 2008 ist. Gegen die damaligen Forderungen der FDP zur e-Card lässt sich auch heute nichts einwenden:
- Das Konzept der elektronischen Gesundheitskarte ist unzureichend. Vor ihrer Einführung muss ein ausreichender Datenschutz unbedingt sichergestellt sein. Weder Kostenträger noch staatliche Stellen oder Industrieunternehmen dürfen Zugriff auf sensible Gesundheitsdaten haben.
- Die e-Card darf nur mit einem positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis umgesetzt werden. Ein Milliardengrabes zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen muss verhindert werden.
- Die Freiwilligkeit der Nutzung muss auch auf Dauer gewährleistet werden.
- Ohne eine vorherige Prüfung durch unabhängige Sachverständige wird die elektronische Gesundheitskarte abgelehnt."
Quelle: Kathrin Vogler, MdB
Zur Begründung des Antrags:
- Eine erste Prüfphase für die elektronische Gesundheitskarte ist verstrichen, ohne dass die substanziellen Probleme des Projekts behoben werden konnten. Im Gegenteil: Neue Risiken sind hinzugetreten wie die Sicherheitslecks bei der Onlineanbindung an die Praxis-EDV. Die e-Card geht derzeit den Weg vieler technischer Großprojekte: die Kosten erhöhen sich, die organisatorischen und sonstigen Risiken werden immer schwieriger kalkulierbar, ein echter Zusatznutzen ist kaum abzusehen, schon gar nicht eine Kostenersparnis für das Gesamtsystem. Dies eint das Projekt mit ELENA oder dem Satellitensystem GALILEO. Trotzdem halten die Bundesregierung und die beteiligten Spitzenverbände an der Einführung der Karte fest und forcieren die Ausgabe der neuen Karten an die Patientinnen und Patienten sowie die Installation der Lesegeräte an die Leistungserbringer. Die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen konzipieren bereits eigene Strategien zur schnellen Onlineanbindung der Karte (Alternative 2012).
Die Fraktion der FDP hatte in einem Antrag die Einführung der e-Card in der geplanten Form noch 2008 abgelehnt. Insbesondere müsse „eine aktuelle Bewertung unter Einbeziehung der bisher gewonnenen Erkenntnisse ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis“ ergeben und die „technischen Konzepte durch unabhängige Gutachter im Hinblick auf die Sicherheit der Daten“ überprüft werden. Die Bundesregierung kann heute zu dieser Kosten-Nutzen-Bewertung keinerlei Angaben machen kann. Sie hat, anders als gefordert, auch keine Gutachten zum Nutzen-Kosten-Verhältnis erstellen lassen. In die Bestandsaufnahme wurden keine unabhängigen Gutachter einbezogen, sondern diese wurde von der gematik selbst durchgeführt und durch das Gesundheitsministerium „moderiert“. Es ist davon auszugehen, dass beim angedachten verminderten Leistungsumfang keinerlei Effizienzgewinne zu verzeichnen sind und sich die e-Card damit als eklatanter Kostenbringer im Gesundheitswesen erweist.
Die Kosten der Einführung wurden für das Jahr 2009 noch mit 665 Millionen Euro jährlich angegeben. Im Jahr 2011 ist die Bundesregierung trotz Bestandsaufnahme nicht mehr in der Lage, die Kosten für die Einführung der Karte und der Telematikinfrastruktur anzugeben. Das Gesundheitsministerium veranschlagte 2004, dass sich die Kosten von maximal 1 Milliarde Euro innerhalb von zwei Jahren amortisiert haben würden. Zwei Jahre später zeigte eine Studie im Auftrag der Betreibergesellschaft gematik Kosten von bis zu 5,4 Mrd. auf. Inzwischen hat ein Sprecher der gematik die möglichen Kosten auf 14,1 Mrd. Euro beziffert. Die Bundesregierung macht heute gar keine Angaben mehr zu Kosten oder möglichen Einsparpotentialen.
Die FDP hatte gefordert, dass aus dem Gebrauch der elektronischen Gesundheitskarte kein erhöhter bürokratischer Aufwand resultiert, insbesondere auch beim Einlesen der Karte in Arztpraxen, Apotheken usw. sowie bei der Anwendung der PIN-Nummer. Genau diese Probleme hatten die Tests in den Regionen ergeben. Als Reaktion werden nun vor allem Funktionen wie das elektronische Rezept und die Patientenakte auf Eis gelegt. Die PIN-Eingabe, notwendig zur Aufrechterhaltung der strengen Datenschutzauflagen, bleibt jedoch. Der Aufwand wird durch die Bundesregierung mit der „schnelleren und qualitativ besseren Verfügbarkeit von für die Behandlung notwendiger medizinischer Daten“ begründet. Diese wird es jedoch wegen des reduzierten Funktionsumfangs auf absehbare Zeit nicht geben.
Die jetzt ausgegebenen Karten können bis auf das Foto nicht mehr als die bisherigen Krankenversichertenkarten. Zukünftig soll es zunächst den Stammdatenabgleich und die Notfalldaten geben. Erst deutlich später wird die adressierte Online-Kommunikation (Arzt-zu-Arzt) und eine elektronische Fallakte (als Mehrwertdienst) eingeführt werden, wenn diese die neuen Testverfahren bestanden haben. Ein medizinischer Nutzen für Patienten ist damit nicht zu erkennen, es stehen lediglich verwaltungstechnische Abläufe im Vordergrund. Die Tauglichkeit des Notfalldatensatzes konnte bisher in Tests nicht nachgewiesen werden. Er wird derzeit neu konzipiert, unter anderem weicht die PIN-Eingabe bei der Erstellung einer schriftlichen Einwilligung.
LINKE, Grüne und FDP hatten 2008 die vergleichende Analyse von mobilen Speichermöglichkeiten in Patientenhand gefordert, die damalige Koalition hatte diese zugesagt. Diese Untersuchung als „ergänzende Alternative zur dezentralen, serverbasierten Speicherung“ (Bundesregierung) hat 2009 durch die gematik und ein von ihr beauftragtes Institut stattgefunden und empfiehlt eine Weiterverfolgung dieser Option. Eine Prüfung durch unabhängige Expertinnen und Experten hat nicht stattgefunden. Die Bundesregierung hat nun dezentrale Speicher in die Verordnung zu den Testmaßnahmen aufgenommen. Diese sollen „technikoffen“ getestet werden, ohne jedoch die Onlineanbindung der Telematik zu ersetzen. Mit der Einführung der Karten ist die Festlegung auf eine servergestützte Speicherlösung getroffen, ohne dass reale Chancen zu Durchsetzung dezentraler Datenspeicher bestehen.
Die für die Onlineanbindung der e-Card notwendigen schnellen Internetverbindungen weisen große Lücken auf. Zunächst muss konstatiert werden, dass eine 1Mbit-Leitung im Downstream und 128 kb im Upstream für verschlüsselte Kommunikation mit größeren Datenmengen wie Röntgenbildern etc. nicht ausreicht. Zudem weisen insbesondere die ostdeutschen Bundesländer eklatante Lücken selbst bei diesen langsamen Anschlüssen auf. Eine Onlineanbindung der e-Card wird damit für viele Praxen in ländlichen Räumen auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass die Bundesregierung den Ausbau der e-Card u.a. mit der Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum begründet.
Im Rahmen der neuen Verordnung über Testmaßnahmen für die Einführung der e-Card sind die 10.000er und 100.000er Feldtests als Einteilung abgeschafft worden. Mit der Straffung des Aufgabenspektrums innerhalb der Selbstverwaltung sind auch die Testverfahren in die Hände der Selbstverwaltung und der gematik gelegt worden. Es ist unklar, wie die kommenden Funktionen auf ihren möglichen Nutzen hin getestet und eingeführt werden sollen. Trotzdem treibt die Bundesregierung den Roll-out voran.
Die Durchsetzungsfähigkeit der Kassen gegen ihre Versicherten ist dabei völlig ungeklärt. Eine Rechtsgrundlage, auf der die Versicherten das Foto einschicken müssen, existiert nicht, zudem wird der Echtheit der Bilder nicht geprüft. Der heutige Gesundheitsminister hatte im Juni 2009 als Oppositionspolitiker erklärt, dass es ein Trugschluss sei, dass durch das Foto der Karten-Missbrauch verringert werde: „Niemand prüft, ob das eingesandte Bild wirklich den Versicherten zeigt.“ Mit dem verpflichtenden Bild werde jedoch Druck auf die Versicherten ausgeübt. „Es bleibt ein Projekt mit vielen Fragezeichen.“ (Merkur-online - 27.06.2009). Eine neue Funktion, die bisher nicht angedacht war, soll zudem die Akzeptanz der Karte erhöhen: die Erklärung zur Organspende soll auf der Karte verzeichnet werden. Dazu ist die Karte jedoch nicht notwendig. Jede durch den Gesetzgeber zu treffende Regelung zur Organspende kann auch ohne die e-Card umgesetzt und beispielsweise auf der bisherigen Versichertenkarte gespeichert werden.
Mehr dazu und zum Hintergrund des Antrags http://www.kathrin-vogler.de/start/aktuell/details_aktuelles/zurueck/start-2/artikel/die-elektronische-gesundheitskarte-jetzt-stoppen-1/
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