Die EU-Kommission hat auf Nachfrage bestätigt, im Juni ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Nichtumsetzung der EU-Richtlinie zur verdachtslosen Vorratsspeicherung der Verbindungs-, Positions- und Internetdaten aller 500 Mio. Menschen in der EU eingeleitet zu haben. Die im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammen geschlossenen Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer warnen die Bundesregierung und insbesondere die FDP davor, nun mit kopflosem Gehorsam zu reagieren: Es ist widersinnig, dass die EU-Kommission einerseits die Notwendigkeit einer umfassenden Änderung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung betont, andererseits aber noch die Umsetzung der alten, als Fehlschlag erkannten Richtlinie fordert.
Die Bundesregierung muss dem Spuk des Vertragsverletzungsverfahrens jetzt ein Ende setzen, indem sie aus wichtigen Gründen des Grundrechtsschutzes eine Befreiung von der Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie beantragt und nötigenfalls einklagt. Diese von Artikel 114 des EU-Vertrags eröffnete Möglichkeit hat die Neue Richtervereinigung der Bundesregierung schon im Januar aufgezeigt – bisher ohne Erfolg.
Da dem Europäischen Gerichtshof bereits jetzt ca. 20 Vertragsverletzungsklagen gegen Deutschland vorliegen, ist es unglaubwürdig, wenn Politiker behaupten, ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren müsse unbedingt vermieden werden. Mit einer Umsetzung der verfehlten EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung würde Deutschland gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Grundrechtecharta verstoßen, wie der Rumänische Verfassungsgerichtshof, das Centrum für Europäische Politik[ und der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags festgestellt haben. Bei dieser Pflichtenkollision zwischen EU-Umsetzungspflicht und Menschenrechtskonvention müssen unsere Grund- und Freiheitsrechte Vorrang haben, bis die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geändert oder vom Europäischen Gerichtshof gekippt wird.
Die von Politikern als “Kompromiss” aktuell diskutierte Teilumsetzung der Richtlinie (z.B. Internet-Vorratsdatenspeicherung oder dreimonatige Vorratsdatenspeicherung) wäre die schlechteste aller Lösungen:
Einerseits würden unsere Menschenrechte verletzt und die Vertraulichkeit unserer Telekommunikation aufs Spiel gesetzt. Eine deutsche Vorratsdatenspeicherung bliebe bestehen, selbst wenn die EU-Richtlinie gekippt wird. Zum anderen würde eine Teilumsetzung nichts an dem EU-Vertragsverletzungsverfahren ändern. Die Meldung einer Teilumsetzung könnte im Übrigen bereits bei Einführung eines reinen Quick-Freeze-Verfahrens erfolgen, wofür sich beispielsweise Kanada und Australien entschieden haben. Überdies ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über eine Klage wegen Vertragsverletzung nicht vor Ablauf eines Jahres zu erwarten. Wir gehen davon aus, dass der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des irischen High Court die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu diesem Zeitpunkt bereits für grundrechtswidrig und ungültig erklärt haben wird, so dass es zu keiner Strafzahlung kommen wird oder etwaige Zahlungen zurückerstattet werden.
Nach Berechnungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung würde eine etwaige Strafzahlung an die EU nicht mehr als 86 Cent pro Bürger und Jahr betragen.
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Mehr dazu in der Pressemitteilung des AK Vorrat oder bei http://www.radio-utopie.de/2011/07/18/86-cent-fur-ein-jahr-ohne-vorratsdatenspeicherung
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