EU-Richtlinienentwurf kein Sicherheitsgewinn und voller Mängel
Die EU-Kommission hat unter der Ägide der Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström, letzte Woche einen Vorschlag für die Speicherung von Fluggastdaten für alle Flüge vorgelegt, die in der EU enden oder von hier aus starten. Der Richtlinienentwurf enthält allerdings gravierende Mängel und Unwägbarkeiten, wie die "Aktion Freiheit statt Angst e.V. kritisiert.
Zum aktuellen Vorschlag für eine EU-Richtlinie über die Speicherung von Flugpassagierdaten bei Flügen in oder außerhalb der EU (Finaler Entwurf für die EU-Richtlinie über Flugpassagierdaten (PDF, Deutsch)) (Pressemitteilung zum Vorschlag der EU zu Flugpassagierdaten (PDF, Deutsch)) erklärt Ricardo Cristof Remmert-Fontes von der "Aktion Freiheit statt Angst e.V.": "Es ist gut, daß die deutsche Presse das Thema bereits ein wenig aufgegriffen hat. Bei der Vorratsspeicherung von Kommunikation war dies nicht so. Dies weckt die Hoffnung, daß diese fatale EU-Gesetzgebung doch noch gestoppt werden könnte. Allerdings sind bisher verschiedene wichtige Aspekte des neuen Vorstoßes nicht beleuchtet worden."
Die "Aktion Freiheit statt Angst e.V." kritisiert zunächst einmal die Begründungen für die Notwendigkeit einer solchen Richtlinie. Beim Verweis auf das Europol-Papier (Europol-Report: "EU Terrorism Situation and Trend Report TE-SAT 2010) zur Gefahr durch Terrorismus in der EU wird nicht ausreichend dargestellt, wie sich diese Bedrohung zusammensetzt. Die Autoren der Statistik zeigen jeweils auf, daß die meisten Fälle und die meisten Opfer auf das Konto separatistischer europäischer Bewegungen gehen, etwa der baskischen, irischen oder korsischen Befreiungsbewegungen. Die Bedrohung durch den "internationalen Terrorismus", meist gleichgesetzt mit "islamistischem Extremismus", spielt eine untergeordnete Rolle (Migrations-Blog der InitiativGruppe e.V.: "Alle Terroristen sind Muslime – außer den 99%, die keine sind") .
Wie hier die Erfassung und Speicherung von Daten aus Flugbewegungen in die und aus der EU Erkenntnisse generieren sollen, bleibt schleierhaft.
Grundsätzlich erlaubt die Richtlinie eine weitgehende Befugnis zur präventiven und "proaktiven" Durchleuchtung der Fluggastdaten, wobei nirgendwo darauf eingegangen wird, mit welchen anderen Verdachts- oder Fahndungsdatenbanken die Fluggastdaten eigentlich in den jeweiligen EU-Staaten abgeglichen werden sollen. Es ist nur vage von "zuvor festgelegten Prüfkriterien" zur Identifizierung bisher "unbekannter Verdächtiger" die Rede.
"Diese Richtlinie läuft also auf eine permanente EU-weite und anlaßlose Rasterfahndung hinaus, dies darf nicht Realität werden.", sagt Remmert-Fontes, und ergänzt: "Abgesehen davon wissen wir ja anhand der Erfahrungen in den 70ern oder der Rasterfahndung in Deutschland nach 2001, daß Rasterfahndung meist nicht funktioniert."
Die Rasterfahndung nach 2001 suchte in Deutschland beispielsweise nach männlichen Studenten, muslimischen Glaubens, die technische Fächer studierten und wurde relativ schnell eingestellt (BVerfG, 1 BvR 518/02 vom 3.7.2006) (Heise Online, 23.05.2006: "Rasterfahndung nach 11. September 2001 verfassungswidrig") .
Ohne spezifische Prüfkriterien und den Abgleich mit anderen Fahndungs- oder Verdachtsdatenbanken jedoch haben die reinen Fluggastdaten jodoch eine begrenzte bis gar keine Aussagekraft.
Ein Einfalltor für nicht näher spezifizierte Daten allerdings enthält die Richtlinie tatsächlich. Unter Punkt 12 der Daten steht "Allgemeine Hinweise", wobei als Beispiel, nicht jedoch als ausschließliches Kriterium (!), Angaben zu unbegleiteten Minderjährigen. Allerdings ist dieser Punkt nicht beschränkt, sodaß unklar bleibt, ob es sich um ein Beispiel handelt oder ausschließlich Daten zu Minderjährigen gespeichert werden sollen: welche Daten hier noch "ganz allgemein" gespeichert werden könnten, bleibt offen (s. Anhang der Richtlinie) .
"Es schleicht sich der Verdacht ein, daß genau diese fehlende Spezifizierung von Abgleichmöglichkeiten, Prüfkriterien und zu erfassenden Daten beabsichtigt ist, um möglichst große Spielräume für die "Schlapphüte" und Überwachungsapologeten zu schaffen", befürchtet Nannette Roske von der "Aktion Freiheit statt Angst e.V.", "wir raten jedenfalls, zukünftig auf Essenwünsche zu "halal" oder "koscherem" Essen zu verzichten und besser vorher ausgiebig zu essen."
Bei allen Massendatenabgleichen und statistischen Verfahren zur Beurteilung einer Gefährdung kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: falsche Verdächtigungen. Je mehr Daten erhoben und verknüpft werden, desto mehr Menschen werden fälschlicherweise ins Fadenkreuz geraten, während die Chance für die tatsächlichen Kriminellen steigt, dem Raster zu entgehen. Der US-amerikanische Sicherheitsexperte Bruse Schneier hat dies eindrücklich am Beispiel der US-No-Fly-Liste durchgerechnet (Bruce Schneier, 25.08.2004: "U.S. 'No-Fly' List Curtails Liberties") (Wikipedia (EN) - No Fly List) (Ein Beispiel für die tödlichen Gefahren von False Positives: https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Ore).
Grundsätzlich ist eine zielgerichtete, nicht-automatisierte Maßnahme im Einzelfall und die Verwendung spezialisierter Fachkräfte statt Computer nach Meinung der "Aktion Freiheit statt Angst e.V." wesentlich erfolgsversprechender. Die Aufgaben gut geschulten Personals kann keine Technik ersetzen, auch wenn die Rationalisierungsversprechen zunächst einmal verlockend erscheinen mögen.
Weitere Kritikpunkte:
- Die Richtlinie definiert keine Löschfristen für die Fluggesellschaften, die die Daten ja zunächst erheben und übermitteln sollen.
- Der jeweilige Leiter der nationalen PNR-Zentrallstellen soll darüber verfügen durfen, die Löschfristen vollständig (!) auszusetzen und entscheiden eigenständig darüber, welche Behörde wie Zugriff erhalten soll. Ein Richtervorbehalt ist nicht vorgesehen.
- Die EU soll "Spiegeldatenbanken" errichten, deren Speicherfristen, Zugriffsmöglichkeiten etc. in der Richtlinie nicht näher definiert sind.
- Die Richtlinie bezieht sich aud die Definition von "schweren Straftaten" auf den Straftatenkatalog der EU-Richtlinie zum europäischen Haftbefehl (EU-Richtlinie über den Europäischen Haftbefehl) , der allerdings viel weiter gefasst ist, als die in Deutschland übliche Definition und auch Straftaten umfasst, die mit einer Mindesthöchststrafe von 3 Jahren sanktioniert sind.
Als Fazit stellt die "Aktion Freiheit statt Angst e.V." fest, daß diese Maßnahme ein weiterer Baustein zu mehr Überwachung und nicht überprüfbaren Befugnissen der Sicherheitsbehörden darstellt und darüber hinaus vermutlich nicht im Geringsten das ohnehinschon hohe Sicherheitsniveau innerhalb der EU erhöhen wird.
"Wir fragen uns, wieviel Überwachung, Bespitzelung und Demokratieabbau sich die europäischen Bürgerinnen und Bürger sich noch gefallen lassen werden, bis sie aufstehen, wie die der DDR, Tunesiens, Ägyptens oder Jemens. Früher oder später jedenfalls wird der paranoide Sicherheitswahn der Staaten den Menschen zuviel werden - denn ein solcher Staat ist nicht mehr demokratisch.", resümiert Dr. Rainer Hammerschmidt, zumal in den Erläuterungen zur Richtlinie ganz explizit auch von einer zukünftigen Speicherung auch innereuropäischer Flugbewegungen und sogar von Bahn- und Busreisen die Rede ist.
Was alles in einem PNR steht findet man/frau hier
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Erstellt: 2011-02-09 11:33:23 Aufrufe: 10752
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